Mit Sanftheit und Würde trösten
Prof. Dr. Klaus Hofmann findet, Georg Philipp Telemanns Kanate „Du aber, Daniel, gehe hin“ möchte die Trauernden mit dem Tod versöhnen.
Wenn man so viel Musik herausgegeben hat wie Klaus Hofmann, hat man viele Lieblingsstücke. Als Herausgeber kommt man – wie könnte es anders sein – der Musik sehr nahe, und nicht selten hat man den Eindruck, dass sie gleichzeitig auf einen zukommt. Kein Wunder also, wenn man sie ins Herz schließt. So entstehen Lieblingsstücke…
Wenn man so viel Musik herausgegeben hat wie ich, hat man viele Lieblingsstücke. Als Herausgeber kommt man – wie könnte es anders sein – der Musik sehr nahe, und nicht selten hat man den Eindruck, dass sie gleichzeitig auf einen zukommt. Kein Wunder also, wenn man sie ins Herz schließt. So entstehen Lieblingsstücke.
Eines dieser Lieblingsstücke, Telemanns Kantate Du aber, Daniel, gehe hin, kannte ich schon lange und hatte es auch schon selbst mitmusiziert, als ich mich entschloss, es in einer eigenen Ausgabe herauszubringen. Das Werk ist nur in einer zeitgenössischen Abschrift überliefert, und so weiß man nichts über Zeit und Umstände der Entstehung. Klar ist: es handelt sich um eine Trauermusik. Betrauert wird, wie aus dem Text hervorgeht, ein verdienter Amts- und Würdenträger, vermutlich mit dem Vornamen Daniel. Aber mehr weiß man nicht. Als Wissenschaftler mag man das bedauern; als Hörer aber kann und darf man seine Phantasie schweifen lassen.
Telemanns Kantate spricht zwar den Verstorbenen an, aber sie richtet sich an die Lebenden. Sie sucht die Trauernden mit dem Tod zu versöhnen und ist so gesehen mehr Trost- als Trauermusik. Der einleitende Bibelspruch aus dem alttestamentlichen Buch Daniel eröffnet eine überzeitliche Perspektive mit der Verheißung, „dass du aufstehest in deinem Teil am Ende der Tage“. In den folgenden Rezitativen und Arien kehren dann die zeittypischen Motive wieder, die wir auch aus Bachs Musik kennen: Weltentsagung, Todesverlangen, Jenseitssehnsucht; und am Schluss steht ein Abschied in Hoffnung: „Schlaft wohl, ihr seligen Gebeine, bis euch der Heiland wieder weckt“.
Telemann hat sein Bestes gegeben. Seine Musik strahlt Ruhe, Ernst, Sanftheit und Würde aus. Zu dem vierstimmigen Chor und den Solostimmen von Sopran und Bass gesellt sich ein erlesenes kammermusikalisches Instrumentarium, bestehend aus Blockflöte, Oboe, Fagott, zwei Gamben und Generalbass.
Die Sonata der Instrumente zu Beginn ist erfüllt von feierlichem Ernst, und ebenso feierlich stimmt der Chor mit dem Bibelwort „Du aber, Daniel, gehe hin“ ein, lebhafter werdend aber dann bei den Worten von der künftigen Auferstehung. Der Bass hat eine große, mehrteilige „Szene“, zentriert um das von Jenseitssehnsucht beseelte Arioso „Komm, sanfter Tod“. Die Sopran-Arie aber, „Brecht, ihr müden Augenlider“, ist ein Kabinettstück barocker Tonmalerei: Während die Singstimme mit der Oboe Zwiesprache hält, beschreiben die Gamben mit rastlosem Figurenwerk die Unruhe des menschlichen Geistes, der erst mit dem Tod zur Ruhe kommt, und Blockflöte, Violine und Continuo vergegenwärtigen in einer pausendurchsetzten Folge von Einzeltönen das „Brechen“ der Augenlider. Den Beschluss bildet das „Schlaft wohl“, ein wunderschön klangvoller Chor von liedhafter Schlichtheit und Wärme. Die Streicher läuten dazu pizzicato die Totenglocken, und über allem schweben die edlen Kantilenen von Blockflöte und Oboe.
Die Versöhnung mit dem Unabänderlichen, die der Kantatentext auf seine Weise versucht, sie gelingt Telemann mit der Schönheit seiner Musik.
Prof. Dr. Klaus Hofmann studierte Musikwissenschaft, Neuere deutsche Literaturgeschichte und Urheber- und Verlagsrecht in Erlangen und Freiburg und ist seit 1994 Honorarprofessor der Georg-August-Universität Göttingen. Dem Carus-Verlag ist er als freier Herausgeber verbunden.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!