Mozart Requiem

Mozarts Requiem

Eines der faszinierendsten Fragmente der Musikgeschichte

Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem KV 626
Ergänzt und herausgegeben von Howard Arman
Carus 51.652/00

Requiem KV 626 (Fassung von Howard Arman)
Einspielung vom Chor des Bayrischen Rundfunks und der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Howard Arman
Carus 51.652/99

Howard Arman hat im Carus-Verlag 2024 seine Fassung von Mozarts Requiem veröffentlicht. Er war von 2016 bis 2022 Künstlerischer Leiter des BR-Chores. Zu seinen eigenen Kompositionen zählen, neben Bühnen-, Orchester- und Vokalwerken, zahlreiche chorsinfonische Arrangements und Werkausgaben von Musik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert.

Der englische Dirigent und Komponist Howard ­Arman hat bei Carus eine neue Fassung von Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem vorgelegt. Die Uraufführung mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter ­seiner Leitung – das Konzert „in memoriam Mariss Jansons“ am 25. Januar 2020 in München – wurde begeistert aufgenommen. Mozart-Experte Ulrich Leisinger fasst die aktuellen Erkenntnisse zu Mozarts Werk, das zu einem der faszinierendsten Fragmente der Musikgeschichte zählt, zusammen. Außerdem hat er für Sie einen Vergleich der in der Musikwelt etablierten Fassungen gewagt.

Wer verbindet mit Mozarts Requiem nicht eine eigene ­Geschichte – ob als Sänger*in, Musiker*in, Chorleiter*in und Dirigent*in oder einfach als Musikliebhaber*in? Lassen wir in aller Kürze die Fakten Revue passieren, die die Sonderstellung dieses einzigartigen Werks erklären!

Im Sommer 1791 hatte Mozart von Graf Walsegg auf Schloss Stuppach einen Auftrag für eine Requiem-Komposition erhalten, dem er sich erst im Oktober nach der Premiere der Opern La clemenza di Tito und Die Zauberflöte widmen konnte. ­Länger als ein Vierteljahr hätte Mozart unter normalen Umständen für ein Werk dieses Umfangs nicht gebraucht, doch Mitte November erkrankte er schwer. Bei seinem Tod am 5. Dezember 1791 war seine Witwe, Constanze Mozart, in einem großen Dilemma: Ihr Mann hatte das Honorar im Voraus empfangen – und es bereits auch ausgegeben.

Das von Mozart hinterlassene Fragment bestand aus ganz ­unterschiedlich ausgearbeiteten Teilen. Der Introitus „Requiem aeternam“ war faktisch abgeschlossen; die Kyrie-Fuge war in den Singstimmen und im Bass vollständig niedergeschrieben (es fehlten nur die Instrumentalstimmen, die aber üblicherweise nur die Singstimmen verdoppelten). Der größere Teil des Werks war in einer Entwurfspartitur aufgezeichnet: Mozart hatte sich angewöhnt, zunächst die Hauptstimmen – in einem Vokalwerk die Singstimmen und den Bass sowie die wichtigsten Einsätze und Figuren der Orchesterstimmen – zu notieren und die Instrumentierung dann in einem zweiten ­Arbeitsschritt ­fertigzustellen. Nur beim „Lacrimosa“ hatte Mozart den Singstimmensatz nicht bis zum Ende, sondern nur bis Takt 8 aufgeschrieben – für ihn stand der weitere Verlauf offenbar ­bereits fest. Gelegentlich notierte er auch Gedanken zur späteren Verarbeitung oder legte Skizzen für besonders komplexe Stellen auf separaten Blättern an.

Constanze bemühte sich, das Werk unter der Hand von Vertrauten Mozarts fertigstellen zu lassen. Sie fragte zunächst Joseph Eybler (1765 – 1846), einen angehenden Kirchenkomponisten. Dieser begann die fehlende Instrumentierung in Mozarts Originalmanuskript einzutragen, scheiterte aber an der Aufgabe, die fehlenden Werkteile zu ergänzen: Mehr als zwei Takte im Anschluss an das Fragment des „Lacrimosa“ sind ihm nicht gelungen. Constanze beauftragte dann Franz Xaver Süßmayr (1766 – 1803), einen der letzten Schüler ihres Mannes. Das Werk konnte bereits im Frühjahr 1792 an den Grafen ausgehändigt werden. Im Jahr 1800 wurde das Requiem ohne Süßmayrs Wissen in der Süßmayr-Fassung gedruckt, was einen Copyright-Streit auslöste, aber maßgeblich zu Mozarts stetig wachsenden Ruhm beitrug.

Constanze hatte bis dahin verständlicherweise versucht, den Eindruck zu vermitteln, das Requiem sei gänzlich Mozarts ­Arbeit. Süßmayr beschrieb seinen Anteil aber in einem Brief an den Verleger wie folgt: Das „Lacrimosa“ habe er „ganz geendigt. Das ‚Sanctus‘ – ‚Benedictus‘ – und ‚Agnus Dei‘ – ist ganz neu von mir verfertigt; nur habe ich mir erlaubt, um dem Werke mehr Einförmigkeit zu geben, die Fuge des ‚Kyrie‘, bei dem Verse – cum Sanctis etc. zu wiederhohlen […].“

Die Sachlage scheint klar: Von Mozart stammen „Introitus“ und „Kyrie“; durch die auch in anderen Requiem-Kompositionen (etwa bei Johann Michael Haydn) belegte Wiederaufnahme dieser Sätze am Ende des Werks als „Luceat eis“ und „Cum Sanctis tuis“ ist der musikalische Gesamteindruck geschlossen. Von der Sequenz bis zum Ende des Offertoriums hat Mozart die Teilsätze nur skizziert. „Sanctus“, „Benedictus“ und das „Agnus Dei“ stammen von Süßmayr.

Doch bei näherem Hinsehen bleiben Fragen: Hatte ­Mozart Süßmayr wirklich noch mündliche Anweisungen erteilt? ­Konnte Constanze Mozart ihm heute verlorenes Skizzen­material für weitere Sätze zur Verfügung stellen? Doch ­Süßmayr hat ­keineswegs das gesamte Material, das Mozart für das ­Requiem aufgezeichnet hatte, ausgewertet: Ein Skizzenblatt mit Aufzeichnungen zu den letzten Opern Mozarts und zum „Rex ­tremendae“ des Requiem enthält auch den Beginn einer „Amen-­Fuge“ in d-Moll. Dass sie als Abschluss der Sequenz gedacht war, liegt auf der Hand.

Süßmayrs Anteil an den ergänzten Sätzen lässt sich anhand der überlieferten Quellen leicht erkennen und bestimmen. Im Vergleich zur sehr transparenten, wenn auch unvollständigen Instrumentierung Eyblers ist seine Ergänzung trotz der kleinen Besetzung sehr dicht. Die Blasinstrumente folgen häufig einfach den Singstimmen, damit liegen die Bassetthörner meist recht hoch. Gelegentlich gibt es – nach dem Verständnis der Zeit – handwerkliche Mängel wie Quint- und Oktavparallelen in den Begleitstimmen. Süßmayrs Singstimmensatz wirkt hingegen auch in den Sätzen 11 – 13 souverän, sodass die Frage aufgekommen ist, ob ihm hierfür nicht doch Mozart’sches Material zur Verfügung stand. Mit Blick auf die Gesamtproportionen wird häufig Süßmayrs äußerst knappe „Osanna“-Fuge zum „Sanctus“ in D-Dur kritisiert, die – ohne Trompeten und Pauken – nach dem „Benedictus“ nahezu unverändert in B-Dur wiederholt wird.

Wissenschaft und Praxis haben lange an Süßmayrs Fassung, die immerhin unmittelbar nach Mozarts Tod im Auftrag der ­Witwe entstanden ist, festgehalten. Sie wird auch heute noch am häufigsten gespielt. Die Kritik an echten und vermeintlichen Schwächen hat in den letzten 50 Jahren aber zu einer fruchtbaren Diskussion und zu vielfältigen Neubearbeitungen von Mozarts Requiem geführt. Pionier war Franz Beyer, Professor für Viola und Kammermusik in München. Er korrigierte 1972 ­Süßmayrs Anteile, u. a. durch eine behutsame Erweiterung der „Osanna“-Fuge. Seit Mitte der 1980er-Jahre haben mehrere Bearbeiter die Skizze zur Amen-Fuge ausgearbeitet und damit die wenigen Amen-Takte am Ende von Süßmayrs „Lacrimosa“ ersetzt. Robert Levin hat auch die Osanna-Fuge neukomponiert und durch eine Modulation am Schluss des „Benedictus“ deren Wiederaufnahme in D-Dur ermöglicht.

An Süßmayr scheiden sich die Geister: Einige Musiker*innen und Mozart-Forscher*innen halten ihn – zu Unrecht – für gänzlich inkompetent. Howard Chandler Robbins Landon basiert seine Ausgabe daher auf Eyblers Ergänzung und lässt Süßmayr nur in den von Eybler nicht abschließend bearbeiteten Sätzen zu Wort kommen. Richard Maunder versuchte, seinen Anteil gänzlich zu eliminieren, auf das Risiko hin, damit auch originalen Mozart, für den keine autographen Quellen mehr existieren, in ­Süßmayrs Gestalt über Bord zu werfen. Wiederum ­andere – wie Howard Arman – respektieren die von ihm angeblich allein geschaffenen Werkteile als „vollendeten“ Süßmayr und greifen nur in die von ihm instrumentierten Teile ein. Michael Ostrzyga versteht seine Ergänzungen nicht als Ersatz, sondern als Alternativen zu Süßmayr, wobei er mit einer Mollfassung des überlieferten „Sanctus“ zu einer besonders radikalen ­Lösung gelangt ist.

Süßmayr hat sich durch die Vervollständigung von Mozarts ­Requiem unsterblich gemacht, und noch heute kann niemand, der sich mit dem Werk auseinandersetzen möchten, einfach an ihm vorbeigehen. „Besser als Süßmayr“ ist mit dem heutigen Wissensstand keine Kunst mehr. Der Anspruch für eine Neubearbeitung heißt aber, sich mit Mozart messen. Dies kann und wird wohl in jeder Generation aufs Neue geschehen.

Requiem KV 626
Süßmayr-Version
Carus 51.626/00

Requiem KV 626
Fassung Maunder
Carus 40.630/00

Requiem KV 626
Ergänzt von Robert D. Levin
Carus 51.626/50

Dr. Ulrich Leisinger ist Direktor der Forschungsabteilung der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg. Zuvor war er viele Jahre in der Bach-Forschung tätig – u.a. als Kollege von Carus-Cheflektor Uwe Wolf im Bach-Archiv Leipzig.

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Auf höchstem künstlerischen Niveau bietet Frieder Bernius eine Interpretation von Mozarts letztem Werk. Er folgt der 1981 von Franz Beyer erarbeiteten Fassung, die Franz Xaver Süßmayrs Ergänzungen weitgehend belässt, aber die Instrumentation der letzten Teile verbessert. Die vorliegende Einspielung wurde mit dem Diapason d’Or ausgezeichnet.

„Man hört hier vieles wie zum ersten Mal. Die Klangqualität der Live-Aufnahme in der Stuttgarter Liederhalle ist obendrein fantastisch.“
Stuttgarter Zeitung

Mozart: Requiem (Carus Coir Coach)

Carus Choir Coach bietet Chorsänger*innen die einzigartige Möglichkeit ihre Chorstimme im Gesamtklang von Chor und Instrumenten individuell einzustudieren. Für jede Stimmlage ist eine separate Audio- oder MP3-CD bzw. ein Download-Album mit allen Chorteilen erhältlich. Dem Carus Choir Coach liegen Einspielungen renommierter Interpret*innen zugrunde, die aus der sorgfältig aufbereiteten Carus Urtext-Ausgabe musiziert haben.

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Frieder Bernius und Uwe Wolf haben eine neue Edition der Mozart-Messe vorgelegt, die versucht, mit größtem Respekt vor dem vorhandenen Material die Aufführung zu ermöglichen, ohne Mozarts musikalische Handschrift mit eigenem Zutun zu überdecken. Die gemeinsame Fassung des renommierten Musikwissenschaftlers Wolf und des Experten für die historisch-informierte Aufführungspraxis Bernius beruht auf fundiertem Wissen über Mozarts Kompositionen, seine Notationsgewohnheiten sowie die kirchenmusikalische Praxis der Mozart-Zeit. Sie entspricht gleichzeitig voll und ganz den Ansprüchen der heutigen Musikpraxis.
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