Haydn: Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze

Ein Werk – Drei Fassungen

Dass ein Komponist ein eigenes Werk in drei verschiedenen Fassungen herausbringt, ist durchaus ungewöhnlich. Genau das hat Joseph Haydn aber mit seiner Vertonung der Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze getan: Das Werk gibt es in der ursprünglichen Version für Orchester, sodann in einer Bearbeitung für Streichquartett und – ergänzt um Singstimmen und mit modifizierter Instrumentierung – in der Form eines Oratoriums. Man liegt sicherlich nicht falsch, diese dreifache Bearbeitung als ein Zeichen der hohen Wertschätzung zu deuten, die Haydn seiner Komposition entgegengebracht hat.

Nach Überlieferung der Evangelien hat Jesus vor seinem Tod am Kreuz noch sieben kurze Sätze gesprochen. Diese wurden schon im späten Mittelalter zum „Septenar der Kreuzesworte“ kompiliert; sie liegen dem vor 1500 entstandenen Kirchenlied Da Jesus an dem Kreuze stund ebenso zugrunde wie beispielsweise der bekannten Komposition von Heinrich Schütz (SWV 478). Darüber hinaus haben Jesuiten in Lima/Peru gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine spezifische Passionsandacht über die Aussprüche Jesu entwickelt. Diese Form gelangte bald in die katholischen Länder Europas und wurde vor allem in Spanien und Italien rezipiert: Gedruckte Andachtsbücher beschreiben den Verlauf der Feier, die am Karfreitag um 12 Uhr begann und sich bis zur Todesstunde um 15 Uhr erstreckte; dabei wurden die Jesus-Worte und ihre homiletische Auslegung von passender Musik umrahmt. In diese von starker Volksfrömmigkeit geprägte Tradition gehört Haydns Komposition.

Portraitfoto von Wolfgang Hochstein

Dr. Wolfgang Hochstein ist der Herausgeber zahlreicher Editionen im Carus-Verlag.

Die Orchesterfassung der Sieben letzten Worte geht auf einen Auftrag aus Cádiz in Spanien zurück; danach sollte das Werk aus einem angemessenen Vorspiel und sieben etwa gleich langen, langsamen und dennoch abwechslungsreichen Instrumentalsätzen bestehen, die als Meditationsmusik das jeweilige Jesus-Wort zu reflektieren hatten. Dass Haydn an das Instrumentalstück zum letzten Wort noch den programmatisch-theatralischen „Terremoto“ (das „Erdbeben“) angehängt und damit auf die entsprechende Schilderung im Matthäus-Evangelium Bezug genommen hat, ist wohl seinem eigenen Entschluss zu verdanken; auf diese Weise hat das Werk ein furioses Finale erhalten, das auch unter dem Aspekt musikalischer Vielfalt eine erhebliche Bereicherung darstellt.

Haydn hat wahrscheinlich 1785/86 an seiner Vertonung der Sieben letzten Worte gearbeitet. Die „Introduzione“ mit den markanten Punktierungen des Hauptthemas lässt den Typ der Französischen Ouvertüre anklingen, während diesem Stück ebenso wie den meisten folgenden Sätzen eine individuell gehandhabte Sonatensatzform zugrunde liegt. Der Komponist hat die Hauptthemen der Wort-Sätze jeweils „aus der Deklamation des Bibelworts entwickelt“ (Finscher) – ein bemerkenswerter, im Rahmen absoluter Instrumentalmusik ungewöhnlicher und neuartiger Kunstgriff. Der Tonsatz ist über weite Strecken von motivisch-thematischer Arbeit durchdrungen; kontrapunktische Techniken kommen eher sparsam zur Anwendung. Der „Terremoto“ schließlich beugt sich – aus inhaltlich plausiblen Gründen – keinem standardisierten Modell, sondern sorgt durch viele musikalische Turbulenzen dafür, dass alle Ordnung aus den Fugen gerät.

Heinrich Schütz Die Sieben Worte Jesu am Kreuz
Carus 20.478

Die Aufführung in Cádiz fand vermutlich am Karfreitag 1787 in der Santa Cueva, einer unterirdischen Kapelle, statt. Wegen der Enge des Raumes ist keinesfalls sicher, ob nicht anstelle der Orchesterfassung die um dieselbe Zeit entstandene Bearbeitung für Streichquartett gespielt wurde.

Als der Komponist Anfang 1794 seine zweite Londoner Reise antrat, wurde er in Passau Zeuge der Aufführung seines Werkes in einer Bearbeitung des fürstbischöflichen Kapellmeisters Joseph Friebert. Dieser hatte auf der Basis der Orchesterfassung vier Singstimmen ergänzt und dazu den Sätzen mit Ausnahme der „Introduzione“ einen deutschen Text unterlegt, der die Jesus-Worte in einem Tonfall zwischen damaligem Kirchenlied, dem pathetischen Ausdruck Gellert’schen Oden und moralisierender Ermahnung paraphrasiert. Frieberts Version sagte Haydn durchaus zu; gleichzeitig war er aber der Meinung, die Singstimmen besser setzen zu können. Deshalb besorgte er sich eine Kopie der Friebert’schen Fassung, und nachdem er im August 1795 aus London zurückgekehrt war, machte er sich daran, seine eigene Vokalfassung zu erstellen. Den entsprechenden Text hat Haydn im Wesentlichen aus Frieberts Version übernommen; das Libretto wurde aber von Gottfried van Swieten revidiert. Im Zuge dieser Revision erhielt der „Terremoto“ einen weitgehend neuen Text mit Versen von Karl Wilhelm Ramler. Am 26. und 27. März 1796 kam die Vokalfassung der Sieben letzten Worte unter Leitung des Komponisten im Palais Schwarzenberg in Wien zur Uraufführung.

Oratorio de la Santa Cueva (Cádiz)

Zu den auffallenden Unterschieden zwischen den Instrumentalfassungen und der Vokalfassung gehören die kurzen A‑cappella-Einleitungen, die den meisten Sätzen der späteren Komposition vorangehen und ihr ein eigentümliches, vorbildloses Gepräge verleihen. Diese Einleitungen sind im archaischen Falsobordone-Stil komponiert und mit der deutschen Übersetzung der Jesus-Worte unterlegt. Das 5. Wort „Sitio“ hat als einziges keine solche A‑cappella-Einleitung. Stattdessen hat Haydn hier eine neu komponierte zweite „Introduzione“ eingefügt: ein tiefgründiges Stück in reiner Bläserbesetzung und mit ausgeprägter polyphoner Arbeit.

Im 19. Jahrhundert, der Epoche der aufblühenden Chorvereinigungen, wurde die Vokalfassung gegenüber der Orchesterversion deutlich bevorzugt, während in jüngerer Zeit über ihre ästhetische Bewertung kontrovers diskutiert wurde. Ohne Frage ist es aber gerade die oratorische Bearbeitung, die sich dem Zuhörer besonders gut erschließt. Diese Fassung ist soeben im Carus-Verlag in einer neuen, kritisch revidierten Edition erschienen.

Joseph Haydn Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze
Carus 51.992

Die letzten sieben Worte unseres Erlösers am Kreuz

Joseph Haydn

Eine der wohl meistaufgeführten Karfreitagsmusiken überhaupt ist das Oratorium Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn. Haydn vertonte diese sieben Worte in einer dramatischen, äußerst ergreifenden Emotionalität, der man sich kaum entziehen kann.

Heinrich Schütz

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