Mit Schütz durch das Jahr (IV)
Tod – Trauer – Schwanengesang
Der (späte) Herbst ist traditionell die Zeit der Requiem-Aufführungen und im November 2022 jährt sich der Tod von Heinrich Schütz zum 350. Mal – Anlass genug, den letzten Teil der kleinen Reihe „Mit Schütz durch das Jahr“ Kompositionen rund um die Themen Tod und Trauer zu widmen.
Mit Werken von Heinrich Schütz zu den Themen Tod und Trauer sind wir ganz schnell bei den Einzelwerken jenseits der großen Sammlungen. Natürlich findet man auch dort Werke, die sich mit dem Tod auseinandersetzen, viel greifbarer wird das Thema jedoch in jenen Kompositionen, die Schütz anlässlich des Todes von einzelnen Personen aus seinem Umfeld komponiert hat.
Und da sind natürlich vor allem die Musikalischen Exequien SWV 279–281 zu nennen, mit denen Schütz seinem Landesherrn, Heinrich II. Posthumus Reuß (1572–1635; zu seinem Besitz gehörte Schütz‘ Geburtsort (Bad) Köstritz) ein Denkmal gesetzt hat. Heinrich Posthumus hatte zu Lebzeiten für sich einen aufwendigen, mit zahlreichen Sprüchen versehene Sarkophag bauen lassen (er ist 1995 restauriert worden und war seitdem auf verschiedenen Ausstellungen zu sehen). Die Erben beauftragten dann Heinrich Schütz, diese Sprüche für die Beisetzung in Musik zu setzen: Die Musikalischen Exequien mit dem „Concert in Form einer deutschen Begräbnis-Missa“ als ersten Teil, gefolgt von dem Doppelchor „Herr, wenn ich nur die habe“ und endend in der großartigen Vertonung des Canticum Simeonis „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“, in die ein Fernchor (2 Seraphinen und die „beata anima“, gleichsam die Seele des Verstorbenen) das „Selig sind die Toten“ (Offb 14,13b) hineinsingt! Ein etwas anderes „Requiem“, dass heute zu den meistaufgeführten Werken von Heinrich Schütz gehört.
Das Canticum Sineonis hat Schütz noch weiteren Trauerkompositionen zugrunde gelegt: dem geistlichen Konzert aus dem Symhoniae sacrae II SWV 352 für 2 Violinen, Bass und Bc, das in einer Handschrift Schütz‘ Kollegen aus der Kassler Zeit, Christoph Cornett (1580–1635,) zugeeignet ist (wohl eine zu Lebzeiten bestellte Trauerkomposition) und zwei sechsstimmigen Motetten SWV 432 und 433, die aus Anlass des Todes von Kurfürst Johann Georg I von Sachsen 1656 entstanden sind (die Kompositionen sind unvollständig überliefert und müssen rekonstruiert werden; Carus bietet sowohl ein historische Rekonstruktion von Heinrich von Herzogenberg als auch eine moderne von Helmut Lauterwasser; welche überzeugt Sie mehr?).
So wie wahrscheinlich Christoph Cornett eine Trauerkomposition bei Schütz bestellte (und Schütz selber bei Christoph Bernhard), so hat auch der Thomaskantor Johann Schein „auff seinem Todbette/ den Churf. Sächs. Wolverordneten Herrn Capelmeister/ Heinrich Schützen … bitlich angelanget/ die Schönen Wort S. Pauli ad Tim. 1. Das ist je gewißlich war etc. in die Music zuvbersetzen.“ Es entstand die Frühfassung SWV 277 der bekannten Motette SWV 388 aus der Geistlichen Chor-Music. Während die gedruckte Form der Motette in den Kontext der Motettensammlung eingepasst ist, überrascht die frühe Form (u.a.) durch einen einzigartigen, madrigalischen Schluss. Nichts für große Chöre, aber im kleinen Ensemble für mich die bei weitem wirkungsvollere Komposition! Neben solch anspruchsvollen Trauerkompositionen stehen schlichte Cantionalsätze, wie sie wohl am Grab selber gesungen wurden, so das erst 2011 bekannt gewordene Trostlied „Betrübte Herzen um des Todes willen“ SWV 502, überschrieben: „Ein Trost-Lied An die hochbetrübten Eltern“, entstanden also anlässlich des Todes eines Kindes. Ein vierstimmiger Satz nach Art des Becker-Psalters, der wie diese in aller Schlichtheit die satztechnische Perfektion des Komponisten erkennen lässt. Nur 18 Takte lang, aber 6 Strophen – und wie die Becker-Psalmen auf vielerlei Art aufführbar: vom Sologesang mit Orgel bis zu Chor mit Instrumenten (gerne auch von Strophe zu Strophe variiert!).
Dr. Uwe Wolf ist als Musikwissenschaftler vor allem im 17. und 18. Jahrhundert zuhause. Seine Arbeitsschwerpunkte reichen von der Zeit Monteverdis und Schütz über Bach und die Generation der Bach-Söhne und -Schüler bis hin zur Wiener Klassik. Seit Oktober 2011 leitet er das Lektorat des Carus-Verlags.
Heinrich Schütz
Musikalische Exequien I-III
Carus 20.279
Heinrich Schütz
Der 119. Psalm (Schwanengesang)
Gesamtausgabe, Bd. 18
Carus 20.918
Es fehlen nun noch die beiden vielleicht persönlichsten Kompositionen von Heinrich Schütz: das weltliche Klagelied Mit dem Amphion zwar SWV 501 für Singstimme und Bc auf den Tod seiner Ehefrau Magdalena von 1625 und Schütz‘ eigener Schwanengesang SWV 482–494 von 1671. Einem griechischen Mythos zufolge, stimmen Schwäne vor ihrem Tod einen wunderbaren Gesang an. Entsprechend werden letzte Werke von Komponist*innen oder Dichter*innen – bis heute – gerne als Schwanengesang bezeichnet. Zwar ist Schütz‘ Komposition auf den Noten sachlicher bezeichnet („Königs und Propheten Davids Hundert und Neunzehender Psalm …), doch sein Schüler Constantin Christian Dedekind (1628–1715) berichtet, dass Schütz die Motetten „unter dem Titul Schwahn-Gesangs (zweifels ohne/ weil er solchen für seinen lätsten [=letzten] gehalten) … componiert“ habe. Musik im Angesicht des eigenen Todes also. Und es ist – theologisch wie satztechnisch – ein Bekenntniswerk! Im Hebräischen beginnen die 8 Verse jedes der 22 Abschnitte des Psalms jeweils mit demselben Buchstaben; von Alef im ersten Abschnitt bis zu Tau im letzten, was dem Psalm den Namen „Güldenes ABC“ eingebracht hat. Schütz hatte aber auch eine persönliche Beziehung zu diesem Psalm; gleich mehrfach verwendet er Vers 54 („Deine Rechtesind mein Lied in meinem Haus“) als Stammbucheintrag und auch die Trauerkomposition, die er für sich bei Christoph Bernhard in Auftrag gab, sollte diesen Text vertonen. Stilistisch ist das Bekenntnis des Schwanengesangs nicht weniger deutlich: Gegen alle modischen Trends knüpfen die Motetten an die Klanglichkeit doppelchöriger Psalmen venezianischer Art an, wie Schütz sie in Venedig gehört haben wird. Dies verleiht diesen Motetten mit ihren gregorianischen Intonationen etwas Archaisch-Überzeitliches. Leider sind von dem lange ganz verloren geglaubten Opus bis heute nur sieben der einst neun Stimmhefte wieder aufgetaucht. Die Carus-Ausgabe enthält somit eine Rekonstruktion des prominenten Schütz-Forschers Werner Breig, die im Zusammenhang mit der Gesamteinspielung des Dresdner Kammerchors unter Hans Christoph Rademann entstand.
Für mich wäre der Schwanengesang die erste Wahl für eine Schütz-Aufführung anlässlich des 350. Todestags im November. Eine Gesamtaufführung ist eine große Herausforderung, schon alleine wegen der Länge. Aber natürlich kann man auch einzelne Motetten für sich oder kombiniert musizieren, z.B. Teil 4 mit jenem Vers der Stammbucheinträge und Trauermotette. Die beiden Anhänge des Schwanengesangs – Psalm 100 SWV 493 und Magnificat SWV 494 – sind wiederum für sich genommen reizvolle Werke, zwei Lobgesänge, (die jeweils vorher für sich schon existierten), die dem strengen, um das Gesetz Gottes kreisenden Psalm, einen fröhlichen, positiven Abschluss verleihen.
Schwanengesang
Schütz Gesamtaufnahme, Vol. 16
Carus 83.275
Heinrich Schütz
Deutsches Magnificat: Meine Seele erhebt den Herren
SWV 494a
Carus 20.494/50
Ich hörte soeben auf ORF I Heinrich Schützens „Trauermusik auf seine jüngst verstorbene Frau“, 1526 (so die Ansage des ORF). Könnte ich den Text (gesungen hat ein guter Tenor, dessen Name mir leider nicht geläufig ist) bekommen?
Im voraus DANKE.
Hans Gärtner
Gemeint ist „Mit dem Amphion zwar“ SWV 501 (1625). Den ziemlich langen Text des Strophenlieds finden Sie im Booklet unserer CD-Einspielung „Psalmen & Friedensmusiken“ (Carus 83.278, https://www.carus-verlag.com/musiknoten-und-aufnahmen/heinrich-schuetz-psalmen-friedensmusiken-complete-recording-vol-20-8327800.html?redirected=1 ). Ihr Carus-Team
Anfrage: Worin unterscheiden sich SWV 281 (Exequien, III. von 1636 ) und SWV 432-433?
Die Unterschiede zwischen SWV 281 auf der einen und SWV 432/33 auf der anderen Seite sind vielfältig. Bei SWV 432/33 handelt es sich um sechsstimmige, einchörige Kompositionen, wie sie in etwa auch in der Geistlichen Chor-Music von 1648 hätten stehen können. Der Schlusssatz der Exequien hingegen lebt von der zusätzlichen Textebene „Selig sind die Toten“ in Chor 2 mit den beiden Sertaphimen und der „beata anmia“; eine ganz außergewöhnlichen, durch und durch barocke Gestaltung. Das sind einfach ganz und gar unterschiedliche Ansätze!
Sie können sich die Kompositionen über unsere Website anschauen:
http://www.carus-verlag.com/2028100
http://www.carus-verlag.com/2043250
http://www.carus-verlag.com/2043350
etwas herunterscrollen, „Kennenlernen“, „Anschauen“. Die PDFs haben einen Kopierschutzbalken, die Faktur der Stücke ist aber gut zu erkennen.