Brahms als Chorkomponist
Anregungen für die Programmgestaltung
Das Deutsche Requiem von Brahms: Allein bei der Nennung dieses Werkes seufzen viele Chorsängerinnen und -sänger sehnsüchtig auf. Es ist eines der Werke im großartigen Kanon der Chorliteratur, das jede*r gesungen haben möchte. Mindestens einmal. Aber was ist mit den vielen kurzen chorsinfonischen Stücken von Brahms, z.B. dem Schicksalslied oder der Nänie? Das ist nicht weniger großartige Musik. Sie stellt aber die Chorleiterinnen und Chorleiter meist vor die Herausforderung, geeignete Werke zu finden, die das Programm ergänzen. Tobias Brommann, Kantor am Berliner Dom, hat einige Vorschläge!
Die Kompositionen von Johannes Brahms sind zu Recht bei vielen Chören sehr beliebt, auch wenn sie zu den anspruchsvolleren Werken gehören. Das, was man im Jazz „voicing“ nennt, beherrschte Brahms wie kaum ein anderer Komponist: Die Lage von Chorstimmen zu kennen und gezielt zu einem wundervollen Klang zusammenzusetzen. Die Motetten und Oratorien sind zwar häufig stimmlich herausfordernd, aber genauso auch dankbar zu singen.
Kantor Tobias Brommann
Viele der kürzeren geistlichen Chorwerke sind in dem Carus-Chorbuch Johannes Brahms Geistliche Chormusik (Carus 40.179) zusammengefasst. Aber auch Einzelausgaben sind erhältlich. Es können sogar einzelne Stücke von mehrteiligen Motetten bestellt werden, so dass eine flexible Zusammenstellung eines Konzert- oder Gottesdienstprogrammes möglich ist.
Eines der am leichtesten umzusetzenden Stücke ist das Geistliche Lied. (Carus 40.183). Der 4-stimmig gemischte Chor wird von der Orgel begleitet und getragen, die Noten sind nicht schwer zu lernen. In einem getragenen Tempo gesungen, strahlt die Musik eine große Wärme und Tiefe aus. Der Text von Paul Flemming ist optimistisch und tröstend. Und trotzdem atmet wie in allen Werken von Brahms auch hier eine tiefe Schwermut mit. Nie ist die Musik von Brahms oberflächlich. Selbst in seinen Scherzi ist das zu spüren, die Musik entführt Ausführende und Hörer in die Tiefen der Seele. Gerade das macht die tröstende Aussage umso glaubwürdiger. Das „Amen“ am Ende holt in einer großen Geste aus und baut sich zu einer innerlich erhebenden, wunderbaren Klangfülle auf. In einem ruhigen Schwung werden die höchsten Töne des Stückes erreicht (Sopran g‘‘, Tenor as‘), diese werden aber getragen von einem satten harmonischen Unterbau basierend auf einem Orgelpunkt, so dass auch dies eine gut zu bewältigende Passage ist und für nahezu alle Laienchöre gut umsetzbar. Eine Empfehlung als Repertoirestück für alle Chöre!
Hörbeispiel aus:
Warum ist das Licht gegeben. Musica sacra
Kammerchor Stuttgart
Bläser der Deutschen Kammerphilharmonie
Frieder Bernius
CD Carus 83.201
Zu den bekanntesten A-cappella-Chorwerken von Brahms gehören die „großen“ Motetten, allen voran Warum ist das Licht gegeben (Carus 40.120/10). In seiner früheren Missa canonica ‚testet‘ Brahms die melodischen Verstrickungen der verwendeten Kanons. Hier muss man zugeben, dass er hier noch nicht ganz die spätere Reife erreicht. Das Agnus Dei beispielsweise als Vorläufer des Warum-Kanons ergibt bei einer doch etwas unangenehmen Verwendung der Stimmlagen einen leicht spröden Klang. In der späteren Motette werden die Chorstimmen deutlich gekonnter verwendet. Durch die dichtere Satzweise und die bequemeren, gut singbaren Lagen ist das Klangbild perfekt ausgewogen. Aber natürlich erfordert allein das Kanonthema des ersten Satzes eher ambitionierte Chöre. Die späteren Sätze sind harmonisch leichter zu erfassen, in ihrer Sechsstimmigkeit haben aber auch diese einige Tücken. Den abschließenden vierstimmige Choral Mit Fried und Freud ich fahr dahin aber kann jeder Chor, der Bach-Choräle kennt, leicht umsetzen und auch isoliert verwenden.
Unter den größer besetzten Werken gibt es einige, die leider selten aufgeführt werden. Ähnlich wie die Choralkantaten von Mendelssohn besteht die Schwierigkeit einer Einordnung. Ein großes romantisches Orchester für eine Kantate oder Kurzoratorium von fünf bis zehn Minuten muss seinen Platz im Konzert finden – und wird es in Gottesdiensten in großer Besetzung sicher nicht geben. Dabei sind es auch gerade diese Chorwerke, die es unbedingt verdienen, einen Platz im Konzertgeschehen zu bekommen.
Johannes Brahms (1833-1897)
Im ähnlich ernsten Thema verwurzelt sind auch der Begräbnisgesang und das Schicksalslied. Auch diese Stücke bieten einem Laienchor eine überschaubare Herausforderung. Während das Schicksalslied (Carus 10.399) das Sterben mit einem weltlichen Text von Friedrich Hölderlin beleuchtet, wird im Begräbnisgesang (Carus 40.181) ein Kirchenlied von Michael Weiße verwendet. Die Melodie von Brahms ist zwar nicht aus dem Gesangbuch, hat aber in ihrer Schlichtheit und ihrem Duktus Ähnlichkeiten einer Melodie der Böhmischen Brüder.
Der Begräbnisgesang erfordert ein Blasorchester – oder einen guten Orgelspieler, da dies Instrument die Klangfarben der Instrumente gut nachbilden kann. Dann aber liegen die Passagen in einem gut singbaren Bereich. Die Spitzentöne (z. B. as‘‘ im Sopran) werden getragen durch eine schnelle ff-Passage und sollten in diesem Schwung leicht zu erreichen sein. Der Anfang und Schluss haben durch die teilweise verwendete Einstimmigkeit einen archaischen Charakter und sind trotzdem durch die Brahms‘sche Klangfülle gekennzeichnet.
Ein Hinweis für die Aufführbarkeit: Wenn es auch wünschenswert wäre, dass die Chöre, die Brahms aufführen, eine umfangreiche Besetzung von Männerstimmen vorweisen können, ist dies in der Praxis nicht immer anzutreffen. Der Begräbnisgesang gibt in der Besetzungsangabe zwar 2 Bässe an, es lässt sich aber mit etwas Tricksen auch mit nur einer tiefen Stimme aufführen: Bei den Übergängen von den Solo-Takten kann ein Ton weggelassen werden und am Ende können die Töne im Tenor von Altstimmen gesungen werden, der Tenor rutscht auf den Bass 1 – und ganz am Schluss, wenn es denn gar zu tief wird, ist es sowieso nur noch zweistimmig. Der eine oder andere Chorleiter mag so etwas als unseriös empfinden. Auf der anderen Seite stehen praktische Erwägungen mit der Gewissheit, dass die Musik und die Klanglichkeit nur wenig angetastet wird.
Ähnlich wie in Nänie ist die Originalbesetzung des Schicksalsliedes ein großes romantisches Orchester, mit allen wunderbaren Klangeigenschaften, aber auch den damit verbundenen, meist praxisfernen Schwierigkeiten mit seinen nur ca. 15 Minuten Dauer. Dafür belohnt gerade dieses im Chor durchgehend 4-stimmige Stück mit einer Fülle von Klangfarben, wie Brahms sie gerne verwendet, Assoziationen an das Requiem werden ebenso wach wie der Anfang seiner ersten Sinfonie mit der eindrücklichen Verwendung der Pauke.
Gerade in diesen Zeiten stellt sich die Frage nach der Aufführbarkeit noch einmal mehr als in normalen Zeiten. Ein großer Verdienst ist die Erstellung von Versionen, die die große Besetzung auf ein Minimum reduzieren. Hier seien die Fassungen für Kammerorchester des Deutschen Requiem (für Kammerorchester: Carus 27.055/50 / für zwei Klaviere zu vier Händen: Carus 23.006/03) oder des Schicksalsliedes (Carus 10.399/50) beispielhaft genannt. Mit keinen oder nur wenigen Solisten sind diese Stücke auch für begrenzte Budgets oder kleinere Räume gut machbar.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!