Psalmvertonungen

„Und ob ich schon wanderte im finstern Tale …“

Hilferuf und Trost in den Psalmen

In einer Zeit großer Wandlungen, in welcher das Unsichere, das Unvorhersehbare, ja, das Verstörende zu einer neuen Normalität werden kann, können ganz besonders die Psalmen Tröstung, Zuversicht und Hoffnung verleihen – nicht nur für den Gläubigen, auch für Menschen, die dem Glauben fern stehen.

Die Psalmen sind eine geschlossene Gruppe lyrischer Lieder im Alten Testament und gehören zu den ältesten Texten, die aus der Ich-Perspektive verfasst sind. Sie sind das einzige biblische Buch, in dem durchweg der Mensch mit Gott redet, nicht Gott mit dem Menschen. Verfasst wurden die Texte in einer unruhigen Zeit vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren und drücken das gesamte Spektrum menschlicher Emotion aus, von der dunkelsten Verzweiflung, Zorn und dem allzu menschlichen Durst nach Rache bis hin zu Dankbarkeit, Freude und tiefer Gläubigkeit.

Die Menschlichkeit der Psalmen und ihre lyrische Qualität haben Komponisten über 1000 Jahre lang inspiriert. Allein die Tatsache, dass diese Texte noch heute lebendig sind und dass sie Generationen um Generationen geprägt haben, beweist ihre außerordentliche Stärke und Tiefe. In ihrer Vielfalt bieten die Psalmvertonungen einen reichen Schatz, um abwechslungsreiche Konzertprogramme zusammenzustellen.

Stefan Schuck

Stefan Schuck führt jede Woche in Berlin im NoonSong geistliche Chorwerke auf. Aus diesem Repertoire hat er die Werke für das Chorbuch Psalmen ausgewählt.

Chorbuch Psalmen CHORBUCH PSALMEN
hrsg. von Stefan Schuck

  • Über 50 Psalmvertonungen aus sechs Jahrhunderten für Gottesdienst und Konzert
  • Stilistische Vielfalt und gemischter Schwierigkeitsgrad: vom „Anglican Chant“ bis hin zur virtuosen Motette
  • Für vierstimmig gemischte Chöre, teilweise auch mit Orgel-/ Klavier-Begleitung

Als Anregung soll hier ein Programm vorgestellt werden, das für ein A-cappella-Konzert eines gemischten Chores konzipiert ist, das nicht kirchenjahreszeitlich gebunden ist. Die Dauer beträgt ca. 45 Minuten.

Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901): Warum toben die Heiden

Josef Gabriel Rheinbergers dramatisch vierstimmige Motette stellt allzu menschlichen Hochmut, Eitelkeit und Zorn der Ruhe gegenüber, die aus Gottvertrauen schöpft. Im babylonischen Exil stellt sich der Sänger der Psalmen einen menschenähnlichen Gott vor, der zu strafen und zerstören vermag.

Loys Bourgeois (1510–1559): Las en ta fureur

Claudio Monteverdi (1567–1643): Domine in furore tuo

Zwei sehr unterschiedliche Stücke aus der Renaissance bringen die Angst vor Gottes Gericht überaus eindrucksvoll zum Ausdruck: Der Vertonung des 38. Psalms in der französischen Übersetzung von Marot aus dem Genfer Psalter von Loys Bourgeois ist trotz ihrer streng polyphonen Satzart ein fast resigniertes Bitten anzuhören – möglicherweise gespeist aus dem eigenen Erleben von Verfolgung und Anfeindung des hugenottischen Komponisten. Der Katholik Claudio Monteverdi vertont den ähnlichen Text des 6. Psalms um einiges extrovertierter in einer sechsstimmigen Motette (Bass und Sopran geteilt) und klagt als „verstörte Seele“ Gott an: „Aber Du, Gott, wo bist du?“

Heinrich Schütz (1585–1672): Ich harrete des Herren

Eine Veränderung des Blickwinkels bringt der Text des 40. Psalms, hier in einer homophonen vierstimmigen Vertonung aus dem Beckerschen Psalter von Heinrich Schütz, die sich tonartlich passend anschließt. In diesem Psalmlied wird Gott als der Gnädige, Erhabene geschildert, dem keine „Opfer gefallen“. Aber auch hier kommen menschliche Emotionen zum Tragen, wenn der Sänger in der 9. Strophe fordert, Gott möge alle, die „mir nach der Seelen stehen“ „mit Schmach zu Boden gehen“ lassen. Durch einen Wechsel in den Besetzungen oder auch, indem man mal nur die Sopran-Melodie singen lässt, kann man die Abfolge der Strophen interessant und vielfältig gestalten.

Franz Josef Schütky (1817–1893): Emitte spiritum

Das kleine Werk von Schütz leitet über zu drei romantischen Vertonungen. Das achtstimmige Graduale des Stuttgarter Sängers und Dirigenten Franz Josef Schütky ist eine echte Entdeckung in seiner doppelchörigen romantischen Klanglichkeit. Es kombiniert eine Textzeile aus dem 104. Psalm: „Sende aus Deinen Geist und das „Antlitz der Erde wird neu“ mit zwei Zeilen aus dem Pfingsthymnus „Veni Sancte Spiritum“. Dieser und die folgenden Texte preisen Gott als Bewahrer, Erneurer und Stütze, als einen Gott, der dem Menschen Zuversicht und Halt verleiht.

Georg Schumann (1866–1952): Und ob ich schon wanderte im finstren Tal

Georg Schumann, der heute kaum mehr bekannte Dirigent des Berliner Philharmonischen Chores, hat Anfang des 20. Jahrhunderts drei geistliche A-cappella-Motetten komponiert, welche ebenfalls eine interessante Wiederentdeckung darstellen. Fast durchwegs nur vierstimmig gibt es ein paar kleine Stimmteilungen in allen Stimmen. Harmonisch reich wird das „finstre Tal“, durch das wir auf Erden schreiten, ausgedrückt und der Trost durch Gottes leitenden Hirtenstab in einer großen, harmonisch interessanten, sich beruhigenden Klangentfaltung wirkungsvoll kontrastiert.

Jessie Seymour Irvine (1836–1877): The Lord’s my shepherd

Ein Liedsatz der Schottin Jessie Seymour Irvine wurde mit dem Text des 23. Psalms sehr bekannt. Eine Sopran-Oberstimme zu dem schlichten Satz ist wirkungsvoll und auch von guten Laiensänger*innen solistisch zu bewältigen, sodass man die fünf Strophen musikalisch unterschiedlich gestalten kann.

Tomás Luis da Victoria (um 1548–1611): Benedicam

Joseph Haydn (1732–1809): Non nobis domine

Anonymus (17. Jahrhundert): Lobe den Herrn, meine Seele

Die folgenden drei Psalmmotetten preisen Gottes Güte in einer besinnlichen, beseelten Weise. Der spanische Renaissance-Meister Tomás Luis da Victoria drückt Lobpreis in einer vollkommenen, kantablen Polyphonie mit den Worten des 34. Psalms aus; eine vierstimmige Komposition, welche auch für Chöre, die noch wenig Erfahrung mit frankoflämischer Vokalpolyphonie haben, leicht zugänglich ist und die eine große Wirkung entfaltet.

Über 200 Jahre später vertont Joseph Haydn den Anfang des 115. Psalmes „Nicht uns, o Herr, nicht uns, nein, deinem Namen schaffe Ehre“ im stylo antico im polyphonen Satz und führt damit die Stilistik Victorias nahtlos fort. Die Continuo-Stimme, welche Haydn hier vorsieht, kann nahezu ohne Verluste wegfallen, bietet aber eine gute Stütze.

Ein kurzes vierstimmiges Werk eines anonymen Komponisten des 17. Jahrhunderts über den Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele“ führt den beseelten Lobgesang schwungvoll fort. Man sollte dieses feine Werk zügig in Ganzen nehmen und sich von den langen notierten Notenwerten nicht zu einem zu langsamen Tempo verleiten lassen.

Ko Matsushita (*1962): Bonum est confiteri

Eine lohnende Herausforderung für gut besetzte Chöre ist die Motette des japanischen Komponisten Ko Matsushita über den 92. Psalm, der lyrisch und fröhlich Gottes Werke preist. Bereits in vorchristlicher Zeit gehörte er zur Liturgie des Sabbatsgottesdienstes.  Matshushita hat den Psalm in motettischer Weise vertont und lässt sich dabei streng katholisch-liturgisch von der gregorianischen Melodie zur gleichnamigen Antiphon und einem bekannten Halleluja im 8. Ton inspirieren. Sein Lobgesang beginnt fast bescheiden und demütig und überspringt bezeichnenderweise die martialisch klingenden Verse des Psalms. Erst im abschließenden „Halleluja“ steigert sich die Komposition über eine tänzerisch-rhythmische Figur zum fortissimo, um wieder zum verinnerlichten Anfangsgestus zurückzukehren.
Dieses Stück kann ein fulminanter Schluss des Programms sein, auch wenn es im pianissimo verklingt.

Max Reger (1873–1916): Ich liege und schlafe

Die Ruhe greift aber wunderbar der Choral aus Max Regers Motette „Ach Herr, strafe mich nicht“ auf: „Ich liege und schlafe ganz in Frieden“, welche in einzigartiger Weise Gottvertrauen und Erlöstheit zum Ausdruck bringt und daher den Zuhörer mit Zuversicht gestärkt in den Alltag entlässt.

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