Auf Händels Spuren in London
Als Georg Friedrich Händel 1710 das erste Mal über den Ärmelkanal segelte, befand sich London in einem gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Bauboom veränderte das Stadtbild der mit fast 630.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Europas, der Finanzmarkt wuchs und erlebte den ersten Aktiencrash, die sozialen Gegensätze waren krass, aber ein einfacher Musiker konnte wie Händel als reicher Mann sterben. Inmitten des Trubels der heutigen Millionenstadt können wir uns noch heute auf einen Stadtspaziergang auf den Spuren Händels begeben.
Unten finden Sie eine historische Karte, auf der Händels Wirkungsstätten markiert sind.
Sicher hat Händel damals nicht geahnt, dass er englischer Staatsbürger werden würde, geschweige denn, dass er mit einem Grab in der Westminster Abbey (1), der englischen Krönungskirche geehrt werden würde. Wenn Sie in der Abbey vor dem marmornen Grabmal Händels stehen, reiben Sie sich vielleicht die Augen, denn dort ist als Geburtsjahr 1684 angegeben. Händel ist doch 1685 geboren, wie Bach? Der berühmte Bildhauer Roubiliac hat sich aber nicht geirrt, es liegt allein daran, dass in England bis 1752 der julianische Kalender galt, nach dem Neujahr stets am 25. März ist. Und damit war Händel am 23. Februar in Halle im neuen und in London im alten Jahr geboren.
Die Verbindungen Händels zur Westminster Abbey sind vielfältig und ergaben sich aus seinen guten Beziehungen zum englischen Könighaus. 1714 wurde der Kurfürst von Hannover, als dessen Kapellmeister Händel nach London aufgebrochen war, König George I. von England, ihm folgte 1727 sein Sohn George II. Dessen Frau Caroline war Händel ebenso zugetan, sie ernannte ihn 1724 zum Musiklehrer ihrer drei Kinder. Zur Krönung Georges II. in der Abtei 1727 komponierte Händel seine Coronation Anthems, darunter Zadok the Priest, zur Grablegung von Queen Caroline 1737 das Anthem The ways of Zion do mourn. (Später Teil I von Israel in Egypt)
Händel: Israel in Egypt
CD Carus 83.423
Noten Carus 55.264
carus music, die Chor-App Carus 73.370
Verlassen Sie die Abtei und lassen Sie von der Westminster Bridge aus den Blick über die Themse schweifen. Stellen Sie sich eine prunkvolle Barke mit George I. vor, umgeben von zahlreichen Booten, und direkt neben dem König ein Boot mit Händel und 50 Musikern, die wieder und wieder die Wassermusik spielten, die Händel für dieses königliche Fest am 17. Juli 1717 komponiert hatte.
Steuern Sie dann den St. James’s Park an und durchqueren ihn in Richtung St. James’s Palace (2), dem damaligen Wohnsitz der Könige. Für die Chapel Royal und die gegenüber dem Palast liegende Queen’s Chapel komponierte Händel, der 1723 zum Hofkapellmeister ernannt wurde, zahlreiche Anthems.
O praise the Lord
CD Carus 83.421
Noten Carus 40.911
Zu einem solchen Amt gehörten auch Auftragskompositionen für die Krone wie z.B. die Musik zur Feier des Aachener Friedens 1749, die mit einem großen Feuerwerk (3) im nahegelegenen Green Park zelebriert wurde. Händels Feuerwerksmusik war ein Riesenerfolg, schon die Generalprobe sorgte für Verkehrsstau auf der London Bridge, aber das Feuerwerk endete in einem Fiasko, da der eigens für den Anlass erbaute Friedenstempel in Flammen aufging.
Wenn Sie dann die Prachtstraße Pall Mall Richtung Trafalgar Square laufen, stoßen Sie linker Hand auf den Haymarket (4). Hier steht ein Theater, das seit 1986 durchgehend The Phantom of the Opera spielt. 1711 hätten Sie an diesem Ort die Premiere von Händels erster italienischer Oper in London erleben können: Rinaldo, freilich nicht in diesem Bau von 1868, sondern in dem 1707 erbauten Haus, das als Queen’s Theatre (später King’s Theatre) bekannt war. Der Impresario Aaron Hill scheute keine Mühen bei der Inszenierung, zur Untermalung einer Liebesszene ließ man gar lebendige Spatzen in den Kulissen herumfliegen.
Das Theater am Haymarket war der Schauplatz von 27 Uraufführungen italienischer Opern Händels. Auch viele seiner Oratorien, darunter der jetzt neu bei Carus erscheinende Belshazzar (1745), wurden dort uraufgeführt. Als am 16. Januar 1739 Saul erklang, war das Staunen groß. Händel hatte für den Trauermarsch im 3. Teil spezielle Militärpauken aus dem Tower heranschaffen lassen, die 1709 im Spanischen Erbfolgekrieg verwendet worden waren und eine Oktave tiefer klangen als die normalen Orchesterpauken.
Neben dem Theater am Haymarket spielte das Theatre Royal Covent Garden (5) für Händel eine bedeutende Rolle. Über 20 Werke wurden dort uraufgeführt, darunter Opern und mehrere Oratorien (z.B. 1736 Alexander’s Feast, 1743 Samson, 1747 Judas Maccabaeus, 1748 Joshua, 1750 Theodora und 1752 Jephtha. Das Theater finden Sie leicht, wenn Sie sich Richtung Osten über den Leicester Square und die Charing Cross Road hinweg zu Covent Garden durchschlagen und dort das heutige Royal Opera House suchen. Leider ist auch hier der originale Bau von 1732 abgebrannt, aber vielleicht läuft hier heute wieder eine Händel-Oper?
Saul
CD Carus 83.243
Noten Carus 55.053
Alexander’s Feast
CD Carus 83.040
Noten Carus 55.075
Laufen Sie nun nach Süden Richtung Themse, so landen Sie am Strand, einer großen Straße Richtung Osten, die in die berühmte Fleet Street übergeht. Im Crown & Anchor (6), das gegenüber der St. Clement Church am Strand lag, führte Händel halböffentlich 1732 seine Esther auf, die als das erste englische Oratorium gelten darf.
Den Strand entlang wird Händel häufig gekommen sein, denn er führt nicht nur zur St. Paul’s Cathedral (7), sondern auch zur Bank of England. Händel war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der seine Finanzen mit Geschick verwaltete, was die vom Komponisten persönlich unterzeichneten Transaktionen im Archiv der Bank beweisen. Auf der Orgel der Kathedrale improvisierte Händel bekanntlich gerne, zudem soll er sich oft mit Chorsängern in einer der umliegenden Tavernen getroffen haben. In der St. Paul’s Cathedral hatte Händel 1713 mit dem Utrechter Te Deum zur Feier des Friedens im Spanischen Erbfolgekrieg einen Grundstein für seinen Erfolg in England gelegt. Der Erfolg seines ersten Auftragswerks durch das Königshaus und zugleich auch seines ersten Werks in englischer Sprache sicherten ihm Patronage und Anerkennung schon bald nach seiner Ankunft in London.
Händels Utrechter Te Deum HWV 278 begeisterte schon bei seiner ersten Aufführung die Londoner Zuhörer und tut dies noch heute in den Konzertsälen und Kirchen weltweit. Carus bietet von diesem häufig aufgeführten Werk einen Notentext auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand, dazu praktische Übehilfen in carus music, der Chor-App.
Utrecht Te Deum
CD Carus 83.310
Noten Carus 55.278
carus music, die Chor-App Carus 73.408
Wer jetzt müde Beine hat und sich eine Kutsche oder Sänfte herbeisehnt, darf in die Tube einsteigen und nach Bloomsbury zum Russell Square fahren. In dessen Nähe liegt Coram’s Fields, heute ein großer Spielplatz, den man nur in Begleitung von Kindern besuchen kann (dann ist es ein perfekter Ort für eine lange Sightseeing-Pause). Hier stand bis 1926 das Foundling Hospital (8), ein 1745 von Thomas Coram gegründete Waisenhaus. Händel gehörte neben dem Maler Hogarth zu seinen bedeutendsten Stiftern, er finanzierte die Orgel und führte jährlich Benefizkonzerte seines Messiah in der dortigen Chapel durch – ohnehin war Händel seit seinen ersten Erfolgen in zahlreichen wohltätigen Stiftungen involviert. Das Foundling Museum am Brunswick Square Nr. 40 besitzt eine umfangreiche Händel-Sammlung, darunter Stimmen und Aufführungspartitur zum Messiah.
Nun müssen Sie am British Museum vorbei über die Oxford Street wieder zurück ins royale London laufen (oder bis zur Bond Street fahren), um dort den nächsten Höhepunkt der Tour zu entdecken: das Wohnhaus Händels (9) in der Brook Street (Nr. 25, nahe der Kreuzung Brook Street/New Bond Street). Händel hatte dieses Haus 1723 gemietet, wohnte hier bis zu seinem Tod, veranstaltete Proben und komponierte. Mayfair war damals ein ganz neuerbautes Viertel, das vor allem wohlhabende Bürger anzog (und noch heute anzieht). Trotz Umbauten ist das Haus dem ursprünglichen recht ähnlich und seit 2001 Museum. Im Haus gleich daneben lebte übrigens Jimi Hendrix.
Und laufen Sie im Anschluss an eine Besichtigung noch zur Pfarrkirche St. George’s Hanover Square (10). Die Pfarrkirche wurde 1725 fertiggestellt, und natürlich wurde der berühmte Organist aus der eigenen Gemeinde für die Planung der Orgel herangezogen. Das dreimanualige Instrument kam aus der Werkstatt Smith, die auch für die Orgel in St. Paul’s Cathedral verantwortlich zeichnete. Die Orgel ist seither mehrfach erneuert worden, aber der Prospekt mit seinen drei Türmen stammt aus Händels Zeit. Ein Chronist berichtet, dass Händel in seinen letzten Lebensjahren, gezeichnet von Blindheit und Arthritis, regelmäßig seine Gemeindekirche aufsuchte.
Auf der Karte unten sind die verschiedenen Wirkungsstätten Händels markiert. Wenn Sie die entsprechenden Punkte anklicken, gelangen Sie zum passenden Textabschnitt.
Viel Vergnügen bei Ihrem virtuellen Spaziergang durchs Händels London!
Chorbuch Händel
ed. Jürgen Budday
Musikalisch besonders reizvolle Oratorienchöre von Händel für den kirchenmusikalischen Gebrauch eingerichtet: Sämtliche englischen Texte wurden ins Deutsche übertragen bzw. neue Texte unterlegt. Der Orchestersatz der 37 meist vierstimmigen Sätze wurde für Orgel bearbeitet und auf zwei Systemen notiert, um die Werke auch manualiter ausführen zu können.
Ist das eine schicke Blogseite! Kompliment!