Für Engelszungen und Gottsucher
Das Te Deum in der Musikgeschichte
Das Te Deum, im Kern basierend auf der sinnreichen Verknüpfung vieler Bibelzitate, gehört gemeinsam mit dem Gloria zu jenen zeitlos schönen frühchristlichen Hymnen, die die Jahrhunderte überdauert haben und im Laufe der Kirchenmusikgeschichte zahllose Male großartig vertont worden sind.
Im Jahr 1893 ging in der ostschweizerischen Klosterstadt St. Gallen eine Drahtseilbahn in Betrieb, die den Klosterbezirk mit dem höher gelegenen Dorf St. Georgen verbindet. Die Talstation des „Mühleggbähnli“ trägt den eigenartigen Namen „Bangor“. Irland-Kenner wissen womöglich, dass Bangor eine östlich von Belfast gelegene Hafenstadt ist – aber was hat das mit St. Gallen zu tun? Auch in Bangor gab es einst ein großes Kloster, das im 9. Jahrhundert von Wikingern zerstört wurde. Von Bangor Abbey zogen Missionare in verschiedene europäische Gegenden und gründeten andernorts Klöster; unter ihnen war um das Jahr 600 auch der Mönch Gallus; er gilt als Gründer des Klosters St. Gallen, das schon bald zu einem Zentrum der Pflege des liturgischen Gesangs werden sollte. Vielleicht brachte Gallus auch den berühmten Hymnus „Te Deum laudamus“ nach St. Gallen – immerhin ist die erste schriftliche Quelle des Textes das „Antiphonale von Bangor“ (680–691); man darf also annehmen, dass das Te Deum innerhalb der keltisch-christlichen Liturgie der Mönche von Bangor Abbey Verwendung gefunden hat.
Der Text könnte jedoch auch deutlich älter sein, er hat seine Wurzeln evtl. in einer altspanischen Osternachtsliturgie. Auffällig ist die enge Verwandtschaft des ersten Teils mit dem katholischen Hochgebet der Messfeier; der anschließende christologische Abschnitt thematisiert dann Christi Sieg über den Tod und seine Auffahrt in den Himmel (hier zeigt sich der Osterbezug). Es schließt sich ein Fürbittgebet an, das in eine Reihe von Psalmzitaten mündet. Am Anfang der Vertonungsgeschichte steht eine einzige, allerdings in mehreren Varianten überlieferte gregorianische Weise, die ihrer Struktur nach streckenweise an den vierten Psalmton erinnert. Diese prägnante gregorianische Eigenmelodie ist nicht nur als Cantus firmus in zahlreiche mehrstimmige Te-Deum-Versionen der Renaissancezeit eingeflossen; sie hat auch ihre Spuren in vielen Vertonungen aus späteren Stilepochen hinterlassen. Überaus deutlich zeigt sich diese Tradition in zwei Te-Deum-Versionen von Franz Liszt, entstanden in den Jahren 1853 (S 24 für Männerchor und Orgel) und 1859 (S 27 für gemischten Chor, Blechbläser, Pauken und Orgel). Liszt bleibt in seinem Streben nach Liturgiewürdigkeit durch Traditionsanbindung durchgehend sehr nah an der alten gregorianischen Weise, die er rhythmisiert und teilweise in einen mehrstimmigen Chorsatz einbindet. Für Abwechslung sorgt zudem die Flexibilität beim Einsatz der Instrumente, die sowohl unterstützen als auch gelegentlich akzentuieren, immer wieder aber auch abschnittsweise pausieren.
Aus der gregorianischen Melodie gewann auch Michael Praetorius das musikalische Material für sein Te Deum deutsch in der Übersetzung von Martin Luther („Herr Gott, dich loben wir“), welcher selbst auch die gregorianische Melodie für den deutschsprachigen Gebrauch einrichtete. Praetorius’ Vertonung ist als „Trialog“ dreier vierstimmiger Chöre angelegt, die komplett textiert sind, nach vorbildgebender venezianischer Tradition aber teilweise auch instrumental besetzt werden können. Der Cantus firmus liegt stets in der Oberstimme; Auflockerung sowie auch textinhaltsgemäße Akzentuierung bringt die rhythmisch-melodisch kreative Ausgestaltung der Mittelstimmen. Immer wieder vereinen sich die Chöre zu höhepunkthafter Zwölfstimmigkeit, um dazwischen dann auch in lockereren Kombinationen auf unterschiedlichste Weise zu interagieren.
Liturgisch gesehen hat das Te Deum seit jeher seinen angestammten Platz im klösterlichen Stundengebet: Es beschließt den frühmorgendlichen Teil des Offi ziums (die Matutin) an Sonn- und Feiertagen außerhalb der Fastenzeit. Darüber hinaus wurde das Te Deum aber schon sehr bald auch zum prachtvoll-feierlichen Schlussgesang u. a. von Festmessen.
Für Giuseppe Verdi, der sich dem Text als alter Mann in den späteren 1890er Jahren zuwandte, überwogen indes die traurigen, ja schreckenerregenden Aussagen des Textes von Christus, dem kommenden Weltenrichter und dem entsprechend erbarmensbedürftigen Individuum. Sein mit Chor und großem Orchester sinfonisch besetztes Te Deum fiel daher streckenweise sehr dramatisch aus; die ängstliche Verunsicherung des Menschen angesichts eines in seiner Allmächtigkeit kaum fasslichen Gottes drückt sich außerdem in häufigen Stimmungswechseln aus. Auch Verdi knüpft indes bei der unbegleiteten chorischen Intonation an die alte gregorianische Thematik an; ferner bringt er an zentralen Stellen auch stilisiert psalmodische Deklamation zum Einsatz, aus der er dann aber sogleich große sinfonische Entwicklungszüge wachsen lässt.
Wolfgang Amadeus Mozart lässt sein Salzburger Te Deum von 1769 in eine prächtige Doppelfuge münden und hält sich darüber hinaus ganz an den eloquenten, in jeder Hinsicht sehr textnahen Stil seiner Salzburger Messen. Zum bratschenlosen Salzburger Streichersatz kommen hier vier Trompeten sowie Pauken.
Ganz dem alten A-Cappella-Ideal angelsächsischer Prägung verpfl ichtet ist dagegen Felix Mendelssohn Bartholdys „kleines“ Te Deum von 1846, das ursprünglich in England mit der originalen Textübersetzung veröffentlicht wurde. Mendelssohn scheint die Inspiration zu diesem klangschönen, satztechnisch gediegenen Werk bei seinen Englandbesuchen 1829 und 1832 empfangen zu haben, wo er altes Notenmaterial studierte und vermutlich auch Musik von Purcell und seinen Zeitgenossen innerhalb der anglikanischen Liturgie erleben konnte.
Die Kompositionsgeschichte des Te-Deum-Textes fand einen ihrer Höhepunkte freilich in Anton Bruckners Vertonung, die 1884 fertiggestellt wurde: Bruckners sinfonischer Monumentalstil mit seiner kantigen Orchestermotivik, seinen oft beinahe exzessiven Motivwiederholungen und seinem permanenten Wechseln zwischen mystischer Versenkung und entfesselter Ekstase ermöglicht auf geradezu ideale Weise die differenzierte Ausleuchtung aller Nuancen des alten Textes – im Lichte einer romantisch geprägten Theologie des 19. Jahrhunderts freilich, aber darum nicht weniger gültig als die „keuscheren“ Versionen der vorausgegangen Epochen. Gustav Mahler beschrieb Bruckners Werk mit den Worten: „für Engelszungen, Gottsucher, gequälte Herzen und im Feuer gereinigte Seelen”.
Giuseppe Verdi (1813–1901)
Te Deum
Coro SATB/SATB, 3 Fl, 2 Ob, Eh, 2 Clt, BClt, 4 Fg, 4 Cor, 3 Tr, 4 Trb, Timpani, Cassa, 2 Vl, Va, Vc, Cb / 15 min
Carus 27.194
Orgelbearbeitung von Zsigmond Szathmáry
Carus 27.194/45
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Te Deum KV 141
Coro SATB, 2 Ctr, 2 Tr, Timp, 2 Vl, Bc, [3 Trb] / 11 min (lateinisch)
Carus 40.046
Anton Bruckner (1824 –1896)
Te Deum
Soli SATB, Coro SATB, 2 Fl, 2 Clt, 2 Fg, 4 Cor, 2 Tr, 3 Trb, Tuba, Timp, 2 Vl, Va, Vc, Cb, Org / 25 min
ed. Ernst Herttrich
Carus 27.190
Die Carus-Edition zieht die beiden als maßgeblich anzusehenden Quellen, Partiturautograph und Erstdruck, in sorgfältiger Abwägung der Lesarten heran. So wird ein Notentext geboten, der größtmögliche Nähe zur Intention des Komponisten beanspruchen kann. Der Klavierauszug wurde neu erstellt. Eine Bearbeitung des Te Deum für Soli, Chor, Blechbläserquintett und Orgel ist auch verfügbar.
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