Schöpferische Weite und Tiefe

Der Dirigent Hans Jaskulsky bewundert die Originalität, Inspiration und den Mut zum Wagnis in Beethovens C-Dur-Messe

Hans Jaskulsky hatte die Freude, Beethovens C-Dur-Messe viele Male dirigieren zu dürfen. Auch für das gegenwärtige Jubiläumsjahr zu Beethovens 250. Geburtstag war eine Aufführung in Bochum geplant, die von der Corona-Pandemie verhindert wurde. Es bleibt immerhin die Hoffnung, die Aufführung im kommenden Jahr nachzuholen. Aufregend und beeindruckend wird die C-Dur-Messe auch dann bleiben.

Für einen Dirigenten wird das Lieblingsstück häufig das Werk sein, das er gerade vorbereitet und aufführt. Der umfassende Werkkatalog des Verlags Carus macht es zudem nicht leicht, ein einzelnes unter so vielen Lieblingsstücken herauszugreifen, und doch – dem Beethoven-Jubiläumsjahr mag es geschuldet sein:  Eines meiner Lieblingsstücke ist sicherlich die Messe Nr. 1 in C-Dur op. 86 von Ludwig van Beethoven. Sie zeigt exemplarisch die schöpferische Weite und Tiefe, das atemberaubend Neue seines Schaffens.

Beethoven schrieb am 8. Juni 1808 an einen Verleger: „… Von meiner Messe wie von mir sage ich nicht gerne etwas, jedoch glaube ich, dass ich den Text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt worden…“. Und in der Tat: Originalität, Inspiration und Mut zum Wagnis scheinen in der Messe auf. Beethovens Wille und seine Fähigkeit, die in Jahrhunderten so häufig vertonte Textvorlage des Ordinarium Missae durchaus symphonisch aufzufassen und so Brücken zwischen den Werkgattungen der Messe, der Symphonie, der A-cappella-Chormusik und sogar des Solokonzerts zu schlagen, begeistern und überraschen mich immer wieder.

Die C-Dur-Messe entstand in zeitlicher Nachbarschaft zum Violinkonzert D-Dur und zur V. Symphonie in c-Moll („Schicksals-Symphonie“) im Auftrag des Fürsten Nikolaus Esterházy zu Eisenstadt bei Wien. Dort fand auch die Uraufführung am 13. September 1807 unter Beethovens Leitung statt. Für den Chor und das Orchester am Hofe Esterházys hatte Beethovens Lehrer Joseph Haydn wenige Jahre zuvor, zwischen 1796 und 1802, seine sechs späten Messen komponiert – allesamt Meisterwerke ihrer Gattung. An ihnen musste und wollte Beethoven sich messen lassen.

Aufhorchen lässt schon die formale Struktur der Gesamtanlage: Fünf große, symphonisch jeweils durchkomponierte Sätze lassen alles bis dahin Übliche hinter sich. Anstelle der konventionellen Abfolge von Chornummern und Soloarien bzw. Ensembles fügen sich die Anteile der Solisten und des Chores wohlbemessen ein in übergeordnete kompositorische Zusammenhänge. Besonders am 3. Satz, dem „Credo“, lässt sich eindrucksvoll zeigen, wie die motivische Verarbeitung im Instrumentalpart die große symphonische Kontinuität der einzelnen Satzabschnitte gewährleistet.

Gewiss: Beethoven hält sich noch an die klassische Dreiteilung des Satzes: Allegro con brio (T. 1 ff., „Credo in unum deum…“); Adagio (T. 131 ff., „Et incarnatus est“); Allegro ma non troppo (T. 183 ff., „Et resurrexit…“). Und gewiss: Er beschließt  den Satz ganz traditionell mit einer Fuge („Et vitam venturi saeculi. Amen“). Und doch: Die in einer Fuge unübliche Freiheit einer stark modulierenden Harmonik, die ungewöhnliche Verteilung der Fugenabschnitte auf Chor und Solisten sowie die souveräne, obligate Behandlung des Orchesters, das vom bloßen Begleiter zum ebenbürtigen Dialogpartner der Vokalstimmen wird – alles dies und vieles mehr ist originell und schlägt ein neues Kapitel der Messen-Vertonungen auf. Die menschliche Stimme selbst wird im symphonischen Geschehen zu einem Instrument unter anderen.

Diese Herangehensweise vetrtiefte Beethoven weiter in der Chorfantasie op. 80, im vierten Satz der 9. Symphonie op. 125 (mit Schillers „Ode an die Freude“) und in seinem kirchenmusikalischen Hauptwerk, der Missa solemnis op. 123. Dass er sich in der C-Dur-Messe auch als Meister der Textbehandlung der ehrwürdigen lateinischen Vorlage erweist, kann beim Schöpfer der Oper Fidelio  kaum erstaunen.

Prof. Hans Jaskulsky ist Vorsitzender des „Internationalen Arbeitskreises für Musik e.V.“ Von 2011 bis 2018 war er Präsident der „Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände e.V.“.  2018 verlieh ihm der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz. Jaskulskys dirigentisches Repertoire reicht von A-cappella-Chormusik über Chorsymphonik bis zu Orchesterwerken in großer stilistischer Breite, von Werken der Renaissance bis zu Ur- und Erstaufführungen neuer Literatur.

Beethoven: Messe in C

Aufführungsmaterial

Beethoven: Messe in C Die erste der beiden Messvertonungen Beethovens ist in ihrer subjektiv-bekenntnishaften Tonsprache ausgesprochen modern und zukunftsweisend. Sie ist keine Vorstufe zur Missa solemnis, sondern ein eigenständiges Werk, das für die Weiterentwicklung der Messenkomposition im 19. Jahrhundert Maßstäbe gesetzt hat.

CD-Aufnahme

Beethoven: Messe in C Der Kammerchor Stuttgart unter Leitung von Frieder Bernius ist einer der besten Chöre weltweit und hat Beethovens C-Dur-Messe zusammen mit Cherubinis Sciant gentes eingespielt.

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