Die Schöpfung – ein Meisterwerk an der Zeitenwende
Als Haydn Die Schöpfung vollendete, war er der bekannteste Komponist seiner Zeit. Durch seine Aufenthalte in England lernte er die Oratorien Händels kennen und diese musikalische Begegnung beeinflusste sein Schaffen im Spätwerk wesentlich.
Haydns Schöpfung erlangte sofort nach der Uraufführung 1798 großen Erfolg und dieser ist bis in heutige Zeit ungebrochen. Dies hat aus meiner Perspektive mehrere Gründe:
Der Inhalt des Werks wird in relativ geraffter Form dem Publikum nähergebracht und die Handlung dadurch stringent erzählt. Haydn verweilt selten in Reflexionen, die gedrängte Vermittlung der Erzählung verleiht dem Werk dadurch eine große Lebendigkeit. Haydn hat eine neue Formensprache entwickelt, in der der Text des Librettos besonders in den Arien keinen Prinzipien folgt, sondern – manchmal in liedhafter Form – immer entlang des Textes musikalisch weiterentwickelt wird.
Heinz Ferlesch ist künstlerischer Leiter der Wiener Singakademie und des Chores Ad Libitum sowie Dirigent des Originalklangorchesters Barucco.
Besonders reizvoll in der Schöpfung sind die Kontraste, mit denen Haydn in den Abschnitten des Chores arbeitet. Dabei stehen kunstvoll ausgeschmückte Fugen im virtuosen Stil schlichten und innigen Passagen gegenüber. Zudem verwendet Haydn oft ein dialogisches Verhältnis von Solostimmen und Chor. Alle Vokalstimmen dienen förmlich der Erzählung der Schöpfungsgeschichte und die Hierarchie zwischen Solostimmen und Chorstimmen wird zu einem gemeinsamen Lob vereint. Die Schöpfung zeigt auch durchaus volksmusikhafte Züge, die im Wechselspiel zur kunstvollen und meisterhaften Instrumentation der Gesamtarchitektur des Werks diesem eine große – im Zusammenspiel aller Kräfte – empfundene Menschlichkeit verleihen.
Die Schöpfung ist auch ein Werk, in dem sich eine Zeitenwende manifestiert. Sie bildet förmlich eine Zusammenfassung aller kompositorischen Erfahrungen und Möglichkeiten des Komponisten. Haydns große Erfahrung im Bereich der italienischen Oper, seine virtuose und detailreiche Behandlung des Instrumentalsatzes und die Neuerungen der Klangsprache der Wiener Klassik lassen die Schöpfung zu einer Art Gesamtschau der Musik des 18. Jahrhunderts werden.
Im Festkonzert „175 Jahre Österreichische Akademie der Wissenschaften“ hatten wir die Möglichkeit, an diesem geschichtsträchtigen Ort das Meisterwerk zur Aufführung zu bringen. Im Festsaal der Akademie fanden in dessen Historie mehrere Aufführungen der Schöpfung statt, unter anderem jene von Antonio Salieri 1808. Diese Aufführung sollte Haydns letzter Auftritt in der Öffentlichkeit sein.
Ich habe mit meinen Ensembles die Gelegenheit genutzt, jene Aufstellung zu rekonstruieren, die auf zahlreichen Stichen des 18. Jahrhunderts beim Zusammenwirken von Chor und Orchester überliefert ist – der Chor stand vor dem Orchester.
Aufführung vom 2. Juni 2022 im Festsaal der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien
Wiener Singakademie, Barucco (Ltg. Heinz Ferlesch)
Haydn schuf mit Die Schöpfung ein Werk, das auch für die Oratorien des 19. Jahrhunderts als Vorbild galt. Die Fröhlichkeit und der Farbenreichtum des Werks sind faszinierend und sie schildern eine Natur, die musikalisch als farbenreich, faszinierend und bewahrenswert erlebbar gemacht wird.
Haydn: Die Schöpfung
Originalfassung Carus 51.990
Bearbeitung für Kammerorchester (arr. J. Hickman) Carus 51.990/50
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