Klassische Musik im Schulchor
Wie kann das gelingen?
Franziska Wagner-Lutz und David Brost und sind Musiklehrkräfte am Gymnasium in der Glemsaue Ditzingen. Dort haben sie eine beeindruckende Chorarbeit aufgebaut. Chor ist für sie ein Herzensanliegen. Beide sind auch außerhalb der Schule als Chorleitende aktiv. Für Carus haben sie ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert, wie die Chorarbeit an ihrer Schule funktioniert – und wie sie ihre jungen Sänger*innen auch an klassisches Repertoire heranführen!
chorissimo! blue
Schulchorbuch für gleiche Stimmen
Hauptband
Carus 2.204/00
chorissimo! orange
Schulchorbuch für gemischte Stimmen
Hauptband
Carus 2.200/00
Die Ausgangssituation
Unterstufenchor mit ca. 80 Schüler*innen
(Ltg. Dorothee Hetzer und Stefan Lipowschek)
Mittel- und Oberstufenchor mit ca. 50 Schüler*innen
(Ltg. Franziska Wagner-Lutz und David Brost)
Kammerchor mit 15 ausgewählten Schüler*innen (Ltg. David Brost)
Über das Schuljahr verteilt finden mehrere Projekte statt – vom Musical bis zum thematisch und stilistisch unterschiedlichen Chorkonzert. Insbesondere beim Weihnachtskonzert erklingt stets ein bedeutendes „klassisches“ Werk. Doch was braucht es, dass Schüler*innen mit Begeisterung Werke „klassischer“ Komponist*innen singen?
Grundlegende Voraussetzungen
- kreativer, motivierender Musikunterricht mit intensiver und stets wertschätzender Beziehungsarbeit
- das Talent, authentisch und mutig Jugendliche dafür begeistern zu können, dass jede Musik – eben auch „klassische“ – im Chor „cool“ ist
- fundierte Repertoirekenntnis und gleichzeitig Mut zur Kreativität, ein Werk so zu adaptieren, dass man es mit Schüler*innen singen kann und dennoch die zentralen Elemente des Kunstwerkes erhalten bleiben
- im Schulleben fest verankerte Aufführungen mit Eventcharakter
- eine in der Unterstufe beginnende, sich über alle Klassenstufen fortsetzende intensive Chorarbeit verbunden mit einer strategischen Verzahnung der verschiedenen Chöre
- längere zusätzliche Probenzeiten bzw. Probentage, um konzentriert und am Stück musizieren zu können
- die Bereitschaft, Probenarbeit in die Verantwortung von musikalisch erfahrenen Schüler*innen zu legen
- hohe Kooperationsbereitschaft innerhalb der Musikfachschaft und Einsatzbereitschaft der Musiklehrkraft, die den Rahmen des für die Chorarbeit bereitgestellten Deputats bei weitem übersteigt
Weitere hilfreiche Aspekte
- das Konzept der „Singeklasse“ im Musikunterricht
- Kooperationen mit Jugendmusikschule, Kirche, Gesangspädagog*innen, anderen ortsansässigen Gesangsensembles und / oder Chorverbänden
- eine AG-Stunde, die in den Vormittagsunterricht integriert ist
- Unterstützung des Kollegiums und der Schulleitung
Das Repertoire
Es fängt bereits bei der Programmauswahl bzw. Konzertkonzeption an, die teilweise kooperativ mit den Schüler*innen entsteht. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren haben wir unter dem Titel „Bach in der Glemsaue: Das Weihnachtsoratorium“ die „WO“ Teile 1 – 3 aufgeführt. Die Anzahl und Komplexität der Chöre ist überschaubar. Insbesondere der Eingangschor ist natürlich ein absoluter „Evergreen“ und macht große Lust auf Singen. Die Choräle sind vor allem durch ihre homophone Gestaltung schnell zu erlernen. Für die Aktivierung des Publikums haben wir alle einen Choral mitsingen lassen. Die Rezitative wurden von Schüler*innen vorgetragen. Teilweise mussten Töne oktaviert und zu heikle Stellen etwas „entschärft“ werden. Die stimmtechnisch anspruchsvolleren Arien wurden von Solist*innen übernommen, die wiederum eine Vorbildfunktion haben, wohin der Weg gesanglich gehen kann. Maßgeblich haben wir den zweiten Teil verändert: Anstatt der Nummern 12 – 22 hat der Unterstufenchor thematisch passende einstimmige Lieder, wie z. B. Was soll das bedeuten, vorgetragen. Zum Themenfeld „Engel und Hirten“ wurden von Schüler*innen entsprechende Texte als Gedankenimpulse rezitiert und die Schulband hat ihre Eigenkomposition Angel performt. Insgesamt hat sich eine Aufführung ergeben, die zeitlich gerafft und musikalisch adaptiert war, aber dennoch musikalisch, dramaturgisch und inhaltlich die Kernelemente des „WOs“ erlebbar gemacht hat.
Es braucht idealerweise genau einmal dieses überwältigende Erlebnis für Jugendliche, im Klangkörper einer „ klassischen“ Musik zu stehen, um durch diese Faszination Freude und Lust auf weitere Werke zu entwickeln. Die „klassischen“ Konzertprojekte werden in einer kompakten Probenphase erarbeitet. Hierzu laden wir sämtliche Kolleg*innen, Eltern und Alumni ein – und wer Zeit und Lust hat, nimmt die Einladung auch gerne an. Der Projektchor wird bei Bedarf ergänzt von Sänger*innen eines Chors und des Chorverbands Friedrich Schiller, die wir außerhalb der Schule freiberuflich musikalisch leiten – eine verlässliche Stütze und wertvoll für das gemeinsame Erfolgserlebnis. Im Hinblick auf das Repertoire haben wir u. a. mit Antonio Vivaldis Magnificat oder César Francks Psalm 150 (aus der Reihe Große Chorwerke in kleiner Besetzung von Carus) wunderbare Erfahrungen gemacht. Aber manchmal klappt es auch nicht: Die Proben für Felix Mendelssohn Bartholdys Gloria entwickelten sich aufgrund der ausgiebigen Polyphonie und der Gestaltung der Einzelstimmen als eher langwierig und überfordernd für die Schüler*innen. Derzeit proben wir Vivaldis Gloria und werden zum ersten Mal auch die Arien mit stimmlich ausgebildeten Schüler*innen und Alumni besetzen. Für 2025/26 haben wir eine kreative Interpretation von Händels Messiah geplant.
Die Proben
Die Probenarbeit beginnt beim Einsingen. Hier versuchen wir nicht nur „klassische“ chorische Stimmbildung anzubieten, sondern z. B. durch (mehrstimmige) relative Solmisation, Circle-Songs, Kanons, Live-Arrangements bzw. Vocal Painting gleich zu Beginn der Probe mehrstimmige und motivierende Klangereignisse zu generieren. Bei der Probe selbst ist uns eine hohe Ernsthaftigkeit und Sorgfalt bei der Einstudierung wichtig, denn durch einen erreichbaren Anspruch entsteht ein tolles Klangerlebnis.
Aus diesem „selbsterschaffenen“ Klang heraus, den die Schüler*innen körperlich und sinnlich wahrnehmen, kann eine Freude und Befriedigung entstehen, die Grundlage dafür ist, mehr davon lernen und erleben zu wollen. Um dieses Klangerleben schon früh nutzen zu können, singen wir daher regelmäßig unser zu erarbeitendes Werk zu einer Tonaufnahme. Dies erleben wir als sehr motivierend für alle Beteiligten.
Selbstverständlich gilt beim Jugendchor: „Die Mischung machts“. Das bedeutet z. B. , dass wir stets auch Stücke aus dem Jazz / Pop, Rock oder Musical Bereich parallel proben oder es auf den jährlichen Chortagen in Ochsenhausen einen sehr beliebten Karaoke-Abend gibt.
Und sonst noch?
Wichtig erscheinen uns noch zwei weitere Aspekte: Vor welchem geschichtlichen und spirituellen Hintergrund ist die Komposition entstanden und was kann sie uns heute persönlich bedeuten und mitgeben? Diese und weitere Fragestellungen versuchen wir immer wieder mit einfließen zu lassen, um den Schüler*innen ein vertieftes Erleben von Musik zu ermöglichen. Der zweite Aspekt ist das Gemeinschaftserlebnis der Schüler*innen in diesem produktiven Musikschaffen, zu dem sie ganz persönlich mit ihrer Stimme beitragen.
Vielleicht birgt gerade unsere Zeit der zunehmenden Digitalisierung eine große Chance, Jugendliche mit dem gemeinsamen und emotionalen Musizieren eines Kunstwerkes zu gewinnen. Wer kennt das nicht – die einzigartige, wuselige, aufgeregte Atmosphäre vor einem Konzert, die alle ansteckt, und die gemeinsamen Glücksmomente nach dem großen Schlussapplaus, die erlebte Verbundenheit – wir sind überzeugt, dass das unsere jungen Chorsänger*innen nachhaltig berührt. Und nicht selten bleiben sie unseren Chören nach einem solchen Erlebnis über ihre gesamte Schullaufbahn treu.
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