Puccinis Preludio a Orchestra

Eine Geschichte von Verlorengehen und Wiederfinden

Giacomo Puccini
Preludio a orchestra
SC 1
Carus 56.002/50

Giacomo Puccini
Composizioni per orchestra
Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini
Bd. II/1
Carus 56.002/00

Lange Zeit war es wegen Verlust eines Blattes im Autograph nur in einer fragmentarischen bzw. von fremder Hand vervollständigten Fassung bekannt. Doch ein neuer Fund ermöglichte es, die Lücke zu schließen – und so steht nun Puccinis Preludio a Orchestra SC 1 bei Carus erstmals in seiner authentischen, vollständigen Fassung zur Verfügung!

 

Bis dahin verlief die Überlieferungsgeschichte des Preludio, ähnlich wie auch bei anderen Frühwerken Puccinis, auf recht verschlungenen Pfaden. Spulen wir zunächst für einen Moment ganz an den Anfang zurück, in die Zeit, in der das Preludio entstanden ist, die 70er Jahre des vorletzten Jahrhunderts: Der jugendliche Puccini ist Schüler an der angesehenen Musikschule seiner Heimatstadt Lucca, dem „Istituto Pacini“, wo er handwerklich bestens ausgebildet wird. Hier entstehen seine ersten erhaltenen Kompositionen: Kurze, z.T. zu Zyklen zusammengefasste Klavier- und Orgelstücke, einige instrumental begleitete Vokalwerke in verschiedenen Besetzungen – darunter, als gewichtigstes Zeugnis seiner Schulzeit, die Messa a 4 voci SC 6 – und eben, nicht zuletzt, sein Preludio a Orchestra, vollendet am 5. August 1876. Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis dieser ganz frühen Schaffensphase Puccinis, mit spezifischen Charakterzügen: Erfindungsreichtum bei den melodischen Hauptgedanken, eine zuweilen von scharfer Chromatik durchzogene Harmonik, ein spürbares Bestreben, konventionelle Formprinzipien zugunsten des Erprobens neuer Lösungen zu überwinden, etwa in der kreativen, vielfältigen Behandlung des Hauptthemas. Michele Girardi fasst zusammen: „Nicht zuletzt zeigt das Preludio a Orchestra gerade in der eigenwilligen Behandlung der Form und dem Umgang mit den orchestralen Klangfarben, wie Puccini, zu diesem Zeitpunkt noch völlig unberührt von Theorie und Praxis der großen italienischen und europäischen Musik, eine natürliche und ganz außergewöhnliche Begabung mitbrachte. Auch deswegen sollte das Werk in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.“ (Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, Bd. II/1 [Carus 56.002], S. XVIII.)

Ob das Werk damals aufgeführt wurde, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; da jedes Zeugnis dafür fehlt, ist  dies wohl eher nicht anzunehmen.

Und nun begann das, was man als eine Geschichte von Verlorengehen und Wiederfinden bezeichnen könnte: Für viele Jahre war das Preludio nur durch ein zwar sauberes, akkurat geschriebenes, jedoch unvollständiges Partitur-Autograph bekannt, in dem aus dem mittleren Teil des Werkes (mindestens) ein doppelseitig beschriebenes Blatt fehlt. Und sogar von dieser Quelle selbst verlor sich eines Tages die Spur, als nach dem Tod des Sammlers Natale Gallini im Jahr 1983, des letzten bekannten Besitzers der Quelle, dessen Manuskriptsammlung aufgelöst wurde – bis ein anonym gebliebener Sammler das Autograph zum Verkauf anbot und es 1999 von der Stadt Lucca erworben wurde. Auf dieser Quelle beruht die bisherige Carus-Ausgabe (16.204); die fehlenden Takte sind hier durch eine Rekonstruktion des Stuttgarter Komponisten Wolfgang Ludewig ergänzt worden.

Doch vor einigen Jahren konnte erneut ein Fund vermeldet werden: Im Archiv Puccini in Torre del Lago tauchte ein bis dahin unbekanntes Manuskript auf, das als autographe Partitur des Preludio a Orchestra identifiziert werden konnte. Und es zeigte sich: Das Werk ist hier komplett enthalten!

Aus dieser Quelle wurden die bislang fehlenden 14 Takte übernommen, sodass das Preludio ab jetzt in originaler Gestalt aufgeführt werden kann.

Das Notenmaterial ist auf Anfrage leihweise, als Vorabdruck verfügbar; eine komplette Neuausgabe ist in Vorbereitung.

Sebastian Hammelsbeck studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Philosophie in Bonn, Freiburg und Mainz. Seit 2000 ist er Lektor beim Carus-Verlag und betreut dort seit 2022 die Bände der Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini.

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Messa a 4 voci

Messa a 4 voci Puccini komponierte seine Messa a 4 voci con orchestra („Messa di Gloria“)  in den Jahren 1878–1880. Die musikalische Qualität, der Schwung und die Frische dieses Jugendwerkes veranlassten den Komponisten, in späteren Opern seine Messa zu zitieren und sicherten dem Werk – nach seiner Wiederentdeckung im Jahre 1952 – eine stetig wachsende Beliebtheit.

Capriccio sinfonico

Mit dem Capriccio sinfonico SC 55 beendete Giacomo Puccini 1883 seine Ausbildung am Mailänder Konservatorium. Es ist das umfangreichste seiner drei Orchesterstücke und zugleich sein letztes, in dem er versucht die Traditionen des italienischen Belcanto-Stils mit einer sich an Wagner orientierenden Motivarbeit und Orchesterbehandlung zu verbinden.

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Biografie Puccini Die Biografie, die auf den neuesten Stand der Forschung basiert, widmet sich gleichermaßen Puccinis Leben wie seinem Werk. Deutlich wird, wie Puccini um die musikalische Umsetzung des unmittelbaren Ausdrucks von Emotionen gerungen hat, ausgehend von der Suche nach dem geeigneten Stoff und der passenden Librettosprache.

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