Ausschweifende Melodien und farbenreiche Harmonien
Tristan Meister findet, Rheinberger schreibt mit seiner „Cantus Missae op. 109“ eine eigene Tonsprache.
Eine Sonderstellung unter Rheinbergers 14 Messvertonungen nimmt zweifelsohne die 1878 komponierte Messe in Es-Dur op. 109 (Cantus Missae) ein. Diese Messe muss, so Tristan Meister, zu den bedeutendsten kirchenmusikalischen Kompositionen der Romantik gezählt werden und verdient einen Platz im Repertoire jedes ambitionierten Chores.
Wer kennt es nicht? Das Abendlied („Bleib bei uns, denn es will Abend werden“) des Liechtensteiner Komponisten Joseph Gabriel Rheinberger. Die Bekanntheit dieses Werkes ist für Rheinberger Fluch und Segen zugleich, wird sein chormusikalisches Schaffen doch oft auf dieses weltbekannte Werk reduziert.
Der seit seinem zwölften Lebensjahr in München wirkende Komponist und Kompositionslehrer komponierte allerdings allein 197 mit Opuszahl veröffentlichte Werke, darunter Klaviermusik, Opern, Orgelwerke, Sinfonien, weltliche und geistliche Chormusik. Er gehörte seinerzeit zu den erfolgreichsten Komponisten, wurde aber – wie einige weitere Zeitgenossen – erst in jüngster Zeit von der breiten Öffentlichkeit „wiederentdeckt“ und zu Recht als vielseitiger Komponist gewürdigt.
Eine Sonderstellung unter seinen 14 Messvertonungen nimmt zweifelsohne die 1878 komponierte Messe in Es-Dur op. 109 (Cantus Missae) ein. Die Wahl der Form als doppelchörige Messe a cappella steht im Gegensatz zu vielen Messvertonungen seiner Zeitgenossen und spricht für Rheinbergers Vorliebe für die Kompositionsformen der Renaissance. Die ersten Takte des Kyrie erinnern in ihrem Aufbau an eben jene venezianische Mehrchörigkeit. Und doch verleiht er der Musik vom ersten Ton an eine eigene Tonsprache. Der groß angelegte Aufbau dieses ersten Satzes mit ausschweifenden Melodien und farbenreichen Harmonien, die aber kurz nach ihrem Ausbruch immer wieder eingefangen werden um nie die demütige Bitte nach Erbarmen vermissen zu lassen, machen diese Musik zu einer besonderen Ausdeutung des Messtextes.
Nah am Text und seiner direkten Ausdeutung bewegt sich diese Messe in Gloria und Credo. Jedoch belässt Rheinberger es auch hier nicht bei der schlichten Messtextvertonung, sondern lässt beispielsweise kurze Fugato-Elemente im „Cum Sancto Spiritu“ aufblitzen. Das Credo beginnt mit einer Bass-Intonation bevor es jeden Vers in seiner Individualität von beiden Chören antiphonal ausdeuten lässt. Erst für das „Et incarnatus est“ vereinigen sich beide Chöre in innigster Empfindung. Der malerische Schlussteil lässt zunächst im „Et vitam venturi“ die Sonne aufgehen und findet im ausgedehnten „Amen“ seinen krönenden Abschluss.
Ein nahezu schwereloses Sanctus, gefolgt von einem leicht bewegten Benedictus geben der Messe fast himmlischen Charakter. Beim abschließenden Agnus Dei überlässt Rheinberger nichts dem Zufall und bezeichnet die einzelnen Abschnitte dynamisch sehr genau, was diesen Satz enorm kontrast- und abwechslungsreich macht. Das abschließende Dona nobis pacem wirkt durch seine melismatische Textbehandlung sehr instrumental und erinnert fast an die späte Chormusik von Richard Strauss.
Diese Messe muss in meinen Augen zu den bedeutendsten kirchenmusikalischen Kompositionen der Romantik gezählt werden und verdient einen Platz im Repertoire jedes ambitionierten Chores.
Der Chor- und Orchesterdirigent Tristan Meister ist auf Veranstaltungen als Referent für den Carus-Verlag tätig.
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