Anton Bruckners f-Moll-Messe
Monument der Sakralmusik
Anton Bruckner vollendete seine f-Moll-Messe am 9. September 1868. Das Werk zählt zu den bedeutendsten Messvertonungen des 19. Jahrhunderts. Es stellt einige Herausforderungen an die Ausführenden und bezeugt zugleich Bruckners visionäres Denken. Die Entstehungsgeschichte der Messe ist von vielen Hürden geprägt: Kontroversen, Verzögerungen und immer wieder neue Überarbeitungen kennzeichnen den Weg zu ihrer Fertigstellung. Besonders die Schwierigkeiten während der Probenphase verdeutlichten die Diskrepanz zwischen Bruckners Vision und den musikalisch-praktischen Herausforderungen.
Die Entstehung der f-Moll-Messe
Der oberösterreichische Komponist begann 1867 mit der Arbeit an seiner f-Moll-Messe, nachdem der Wiener Hofkapellmeister Johann Herbeck, begeistert von seiner d-Moll-Messe, ihn mit der Komposition beauftragte. Diese Messe ist Bruckners dritte große Messkomposition und spiegelt seine charakteristischen kompositorischen Merkmale wider: ein tiefes Gespür für Klangfarben, komplexe Harmonien und sinfonische Struktur.
Das Werk ist Anton Ritter Imhof von Geißlinghof gewidmet, einem wichtigen Förderer Bruckners im Oberhofmeisteramt. In einem Brief an seinen Widmungsträger betonte Bruckner, dass er sich bei dieser Messkomposition „die höchste Mühe“ gebe. Anekdotenhaft wird in den frühen Biografien Bruckners auf seine spirituellen Eingebungen hingewiesen – so soll ihm etwa die Idee zum Benedictus während der Weihnachtsnacht gekommen sein.
Blickt man auf den biografischen Kontext dieser Zeit, so stellt die Vollendung der f-Moll-Messe im September 1868 jedenfalls einen wichtigen Meilenstein in Bruckners Leben dar: Nach einem Nervenzusammenbruch und einer Kur in Bad Kreuzen erhielt er 1868 endlich eine Anstellung am Konservatorium (als Nachfolger seines Lehrers Simon Sechter; den Vertrag über die Anstellung hatte Bruckner am 6. Juli des Jahres erhalten) und wurde zudem Hoforganist.
Die frühen Aufführungen in Wien: Herausforderungen und Triumph
Nach der Fertigstellung der Komposition kam es allerdings nicht sofort zur Uraufführung der Messe, weil es künstlerische Missverständnisse und erhebliche Probleme in den ersten Probenphasen Ende 1868 und Anfang 1869 gab: Alle Beteiligten waren vermutlich aufgrund der komplexen Harmonien, der langen Chorfugen sowie der großen Besetzung überfordert.
Die genauen Umstände und Gründe sind nur anekdotisch in der frühen Biografie von August Göllerich (Bd. IV/1, S. 78 und 200) überliefert: Der Hofkapellmeister Herbeck habe die Messe nicht aufführen können, da diese „zu lang und unsingbar“ sei. Zudem habe er Bruckner mit der Bemerkung konfrontiert: „Bruckner, Sie wissen, dass Wagner mit seinem Tristan und ich mich mit meiner B-Dur-Symphonie geirrt haben, können Sie nicht zugeben, dass auch Sie sich mit dieser Messe verrechnet oder doch geirrt haben?“ (Göllerich, Bd. IV/1, S. 79).
Bruckner war vermutlich enttäuscht und fühlte sich missverstanden, als sich die Uraufführung seiner Messe immer wieder verzögerte. Doch trotz dieser Rückschläge führten seine Hartnäckigkeit, mit der er kontinuierlich Änderungen vornahm, und seine künstlerische Entschlossenheit schließlich zum Erfolg. Fast vier Jahre nach den ersten, erfolgslosen Proben fand die Uraufführung der Messe am 16. Juni 1872 in der Wiener Augustinerkirche statt – unter der Leitung Bruckners. Alles wurde von ihm organisiert: Er engagierte den renommierten Chor und das Orchester der Wiener Hofoper und übernahm die finanziellen Kosten für die Aufführung. Diese 300 Gulden (Brief vom 23.6.1872), die er dafür bezahlte, waren ein beachtlicher Betrag – immerhin zweieinhalb Monatsgehälter für Bruckner!
Auch in der Wiener Hofburgkapelle wurde die Messe daraufhin aufgeführt. Die Morgenpost schrieb am 19.06.1872, dass die Messe an Beethovens Missa solemnis erinnere, aber auch „die Grundstudien beim formenreichen Bach nicht verläugnet“ und gleichzeitig von der „herrschenden Wagner-Richtung nicht frei“ sei. In der einen Tag später erschienenen Ausgabe der Zeitung Das Vaterland wurde sogar betont, dass „jeder feiner fühlende Geist von dem Werke ergriffen“ werde und dass man bereits bei den ersten Klängen des Kyrie „mit einem eigenthümlichen Geiste“ konfrontiert sei.
Wie oben bereits erwähnt, hat Bruckner schon gleich zu Beginn der ersten Proben 1868 begonnen, Änderungen an seinem Werk vorzunehmen, um Struktur und Klang zu optimieren – ein Überarbeitungsprozess, der sich dann mehr als 20 Jahre hinziehen sollte, bis zur Endfassung von 1893, die der Carus-Ausgabe zugrunde liegt (hrsg. von Felix Loy, Carus 27.094). Erst 1894 wurde die Messe schließlich bei Doblinger veröffentlicht – allerdings weist dieser Erstdruck viele, u. a. die Instrumentation betreffende Änderungen von Bruckners Schüler Josef Schalk auf, die nicht als vom Komponisten autorisiert angesehen werden können.
Aufführungspraxis heute: Herausforderungen und Chancen
Heute wird die f-Moll-Messe weltweit von Chören geschätzt und aufgeführt. Dennoch bleibt sie eine Herausforderung für jede Aufführung. Das Werk verlangt von den Ausführenden eine präzise Klangvorstellung für die Balance zwischen sakraler Innerlichkeit und sinfonischer Monumentalität.
Aufgrund der erforderlichen Besetzungsstärke können kleinere Chöre schnell an ihre Grenzen stoßen. Eine interessante Alternative zur Originalfassung ist daher die Bearbeitung des Werkes innerhalb der Reihe „Große Chorwerke in kleiner Besetzung“ (Carus 27.094/50). Dabei reduziert Joachim Linckelmann die Bläserstimmen von 15 auf nur sieben. Die Streicher bleiben in ihren Partien identisch mit dem Original, können aber in der Besetzungsstärke nun ebenfalls zurückgenommen werden. Die Vokalstimmen (Soli und Chor) sind von der Bearbeitung völlig unberührt, sodass aus den Klavierauszügen und Chorpartituren der Carus-Urtextausgabe gesungen werden kann. Dabei werden der sakrale Charakter und die komplexe Struktur der Messe bewahrt. Eine Übehilfe für Chorsänger*innen ist ebenfalls bei Carus verfügbar.
Anton Bruckner
Messe f-Moll
bearbeitet für Kammerorchester
von Joachim Linckelmann
Carus 27.094/50
Trotz aller Herausforderungen, welche sich mit der Aufführung der f-Moll-Messe für Interpret*innen und Publikum stellen, hat dieses Meisterwerk seinen festen Platz in der Musikgeschichte und wird auch zukünftige Generationen begeistern.
Lorenz Adamer studierte an den Universitäten Wien (AT), Cremona/Pavia (ITA) und Tübingen Musikwissenschaft und Philosophie. Seit dem Sommer 2017 arbeitet er im Carus-Verlag, zuerst als Vertriebsassistenz und mittlerweile als Redakteur im Lektorat. In seiner Freizeit spielt er leidenschaftlich Klarinette und singt gerne im Chor.
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