„Mit Vergnügen anspruchsvoll“
Über Veränderungen, Chancen und Herausforderungen – Der Münchner Konzertchor im Interview
Wie können Chöre ihre Zuhörer*innen und Mitglieder zurückgewinnen? Und wie können Chöre Kinder mit besonderen Konzertformaten einbeziehen? Diese Fragen haben wir Viola von Behr und Konstanze Schünemann, beide Vorstandsmitglieder des Münchner Konzertchors, gestellt.
Wenn Sie den Sommer 2019 und 2022 miteinander vergleichen: Wie hat sich Ihr Chor in den letzten drei Jahren verändert? Hatte die Pandemie Einfluss auf Chorgröße und –zusammenstellung?
Konstanze: Gott sei Dank hatten wir keinen großen Mitgliederschwund: Einige wenige sind in der Versenkung verschwunden, von ihnen haben wir nichts mehr gehört seit dem ersten Lockdown. Andere signalisieren immer wieder, dass sie sich nach wie vor dem Chor verbunden fühlen, aber noch zu großen Respekt vor einer Infektion haben – auch weil sie sich z.B. als Selbstständige keinen Ausfall leisten können. Erstaunlicherweise hatten wir in den letzten zwei Jahren aber einen überdurchschnittlichen Zuwachs in allen Stimmgruppen, auch bei den Männern, was natürlich sehr erfreulich ist.
Was waren dabei die größten Herausforderungen?
Konstanze: Wie viele andere Chöre auch, wurden wir im März 2020 von 180 auf 0 runtergebremst: Wir waren auftrittsfertig geprobt für unser Passionskonzert mit dem Stabat Mater von Anton Dvořák. Die Enttäuschung war groß unter unseren Leuten, dass wir das Werk nicht auf die Bühne bringen konnten. Vor allem, weil zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, wann wir uns wieder treffen könnten und wie lange es dauern würde, bis man wieder ein Konzert veranstalten dürfte.
Die größte Herausforderung war daher, nicht den Kontakt zu den Mitsänger:innen zu verlieren, die Stimmung trotz allem positiv zu halten. Wir haben regelmäßig „Corona-Zwischenrufe“ verschickt, Einsingübungen, uns auch mal in Zoom-Proben versucht, Online-Versammlungen veranstaltet, usw.
Die größte Herausforderung war daher, nicht den Kontakt zu den Mitsänger:innen zu verlieren, die Stimmung trotz allem positiv zu halten.
Viola: Besonders anstrengend wurde es dann, als wir zwischen den Lockdowns wieder in Präsenz-Proben einsteigen durften: Zu unserem großen Glück hat sich eine Chorkollegin, die ebenfalls Juristin ist, bereit erklärt, ein rechtssicheres Hygienekonzept aufzustellen, das wir dann natürlich auch immer wieder an die ständig neuen Regelungen anpassen mussten. Die Organisation der Proben unter Berücksichtigung dieses Hygienekonzeptes war sehr aufwendig: Allwöchentlich musste die Anwesenheit vorab abgefragt und vor Ort genauestens kontrolliert werden. Unsere Proben fanden phasenweise in unserer nur wenig beheizbaren Kirche statt, damit zwischen den einzelnen Sänger:innen ein Abstand von mindestens 2 Metern eingehalten werden konnte. Alle 20 Minuten haben wir für eine Lüftungspause unterbrochen. Wir bereiteten zu der Zeit ein Herbstkonzert mit Werken von Ola Gjeilo, Mendelssohn und Whitacre vor. Dann schlug „Delta“ zu, die Inzidenzen explodierten und der nächste Lockdown stand vor der Tür. Wir haben damals gemeinsam mit unserem künstlerischen Leiter im erweiterten Vorstand nur drei Tage vor dem Auftrittsdatum entschieden, das Konzert abzusagen. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, das Konzert durchzuziehen. Natürlich war die Enttäuschung bei allen wieder sehr groß, auch wenn die meisten Mitsänger:innen Verständnis hatten.
Im zweiten Lockdown konnten wir dann wenigstens ab und zu mit Mini-Ensembles Gottesdienste in der Emmauskirche gestalten. Wir haben außerdem zwei Virtual-Choir-Projekte erfolgreich durchgezogen, mit denen wir unseren eigenen YouTube-Channel gestartet haben.
Ab Frühsommer 2021 durften wir wieder proben – mit angepasstem Hygienekonzept, das wieder ausgearbeitet und beim Chor durchgesetzt werden musste: mit Voranmeldung, viel Abstand, Lüftungspausen, mühsamen 2G-, 2G-Plus- und später 3G-Kontrollen. Zur besseren Nachverfolgung wurden jedes Mal Fotos der Sitzordnung gemacht. Im Kirchensaal war die Akustik grenzwertig: Die Sänger:innen waren genervt („Ich höre nur mich…“), der Dirigent frustriert („Ich kann überhaupt keine Klangarbeit machen…“). Parallel habe ich die Proben gestreamt für diejenigen, die nicht kommen wollten, jedes Mal ein großer technischer Aufwand. Andererseits waren wir aber trotzdem sehr dankbar, dass wir uns sehen konnten und gemeinsam musizieren durften.
Und unter diesen doch sehr schwierigen Bedingungen haben wir es geschafft, nach fast zwei Jahren wieder ein Konzert zu veranstalten: Am 14. November 2021 haben wir unser eigentlich für den Herbst 2020 geplantes Programm mit Gjeilo, Whitacre und Mendelssohn sehr erfolgreich aufgeführt.
Übrigens: Neben den besonderen Corona-Herausforderungen mussten wir uns ab Sommer 2021 auch noch auf die Suche nach einem neuen Dirigenten machen. Benedikt Haag, unser künstlerischer Leiter seit 2014, konnte in einem großartigen Karriereschritt eine Professur an der Würzburger Musikhochschule übernehmen und musste daher die Leitung des Münchner Konzertchores aus Zeitgründen abgeben. Im Januar 2022 hat Óscar Payá Prats von Benedikt Haag das Zepter übernommen. Die Stelle war keinen Tag vakant – darüber sind wir auch ein bisschen stolz.
Mit welchen Maßnahmen werden neue Mitglieder für den Chor gewonnen? Sind Sie erfolgreich mit dieser Strategie?
Konstanze: Wir haben vor 5 Jahren unsere Kommunikation nach außen aufgepeppt, haben eine neue, modernere Website kreiert mit neuem Design und selbstbewusstem Auftritt. Nicht zu unterschätzen ist eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda, vor allem in einer Stadt wie München, in der die Chorlandschaft groß und attraktiv ist. Essenziell ist ein interessantes und abwechslungsreiches Programm, das bei uns von der Renaissance bis zur Moderne reicht, von üppig besetzter Chorsinfonik bis zu A-cappella-Konzerten.
Für viele Sänger:innen ist sicher auch entscheidend, welcher Geist in einem Chor herrscht: Wenn interessierte Menschen bei uns „schnuppern“ merken sie rasch, dass die Qualität und der Anspruch hoch sind. Trotzdem herrscht bei uns eine freundliche, offene Atmosphäre. Die meisten bleiben deshalb sehr gerne und stellen sich einem Vorsingen bei Óscar, der dann über die Aufnahme entscheidet.
Mit dieser Strategie fahren wir erfolgreich und freuen uns seit geraumer Zeit über großartigen Zuwachs.
Welche Maßnahmen können Sie insbesondere auch anderen Chören empfehlen?
Konstanze: Jeder Chor sollte ein klares Profil haben, entsprechend seinem Anspruch. Für die ehrgeizigeren Laienchorsänger:innen punktet ein Chor mit seiner Qualität und mit einer anspruchsvollen Chorarbeit. Jeder Chor sollte sich um eine freundliche Atmosphäre den Neueinsteigern gegenüber bemühen. Das bindet. Die Freude am Singen sollte man nie aus den Augen verlieren. Wir sind da unserem Motto „Mit Vergnügen anspruchsvoll“ immer treu geblieben.
Vielerorts sind Konzerte noch wenig besucht. Wie sieht dies aktuell bei Ihnen aus? Mit welchen Ideen erobern Sie Ihr Publikum aktiv zurück?
Viola: Wir wollen und können die Rückkehr zur Vor-Pandemie-Normalität gar nicht erzwingen. Viele Konzertgänger:innen haben immer noch Bedenken wegen möglicher Infektionen. Das wollen wir berücksichtigen: Wir achten pandemiebedingt immer noch auf eine lockere Sitzverteilung. Ein ausverkauftes Haus streben wir daher noch gar nicht an. Unsere drei Konzerte, die wir seit November 2021 gegeben haben, waren zudem programmatisch eher außergewöhnlich, waren also keine Selbstläufer, so wie es z.B. ein Weihnachtsoratorium oder eine Johannespassion wären. Insofern sind wir mit dem Kartenverkauf und auch dessen Entwicklung sehr zufrieden, selbst wenn nicht alle Plätze besetzt waren.
Wir konzentrieren uns also vor allem weiterhin auf unser Programm, auf gute Qualität und die Sicherheit der Besucher:innen: Die meisten Leute, die aus Furcht vor Ansteckung noch nicht wieder in Konzerte gehen, erreicht man vermutlich auch mit innovativen Ideen und Maßnahmen nicht. Die anderen freuen sich und sind dankbar für abwechslungsreiche Programme.
Jeder Chor sollte sich um eine freundliche Atmosphäre den Neueinsteigern gegenüber bemühen. Das bindet. Die Freude am Singen sollte man nie aus den Augen verlieren.
Ihr Chor plant gleich mehrere Konzerte mit großen Chorwerken in den kommenden Monaten. Welche Tipps können Sie anderen Chören für eine erfolgreiche Konzertplanung und -durchführung geben?
Konstanze: Wir sind ein sehr harmonisches und wirklich gut funktionierendes Vorstandsteam und haben den Luxus, dass wir in unserem Chor sehr viele freiwillige Helfer haben. Dafür sind wir sehr dankbar, denn die Teams sind eingespielt und alle wissen, was zu tun ist: Das beginnt bei der Werbung, geht über die Vertragsgestaltung mit unseren engagierten Solisten, den Kartenvorverkauf bis zum Konzertauf- und -abbau. Die Lasten sind auf viele Schultern verteilt und die Abläufe sind standardisiert. Das ist, denke ich, das A und O einer erfolgreichen Planung.
Planen Sie derzeit Konzerte ähnlich wie vor der Pandemie oder hat sich etwas verändert?
Konstanze: Unsere ersten beiden Konzerte nach Beginn der Pandemie – im Herbst 2021 und im Frühjahr 2022 – waren noch sehr komplex in der Organisation, nicht nur aufgrund der Einlasskontrollen. Wir haben deshalb damals noch auf die Abendkasse verzichtet und einen reinen Online-Vorverkauf gemacht. Am Konzertabend im Herbst 2021 kam sogar die Polizei vorbei, um zu prüfen, ob alles seinen rechten „2G-plus-Gang“ geht… Und das nur am Rande: Sie waren mehr als zufrieden.
Bis jetzt haben wir unsere Programme noch sehr vorsichtig geplant: Unsere letzten drei Konzerte fanden alle mit kleiner Besetzung statt. Auch das Dvořák-Stabat-Mater, das wir im Oktober aufführen werden, geben wir in einer Fassung für kleines Orchester. Somit schränken wir das finanzielle Risiko ein für den Fall, dass abgesagt werden muss. Wir sind aber sehr zuversichtlich: Ab dem Weihnachtskonzert 2022 planen wir daher wieder normal und freuen uns auf ein Weihnachtsoratorium mit voller Besetzung.
In Dezember wird der Münchner Konzertchor Auszüge aus J. S. Bachs Weihnachtsoratorium im Rahmen eines Kinderkonzertes aufführen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Was reizt Sie an diesem Stück?
Viola: Wir haben diese Idee schon länger mit uns herumgetragen, haben immer mal wieder überlegt, welches Stück sich eignen könnte, um die Kleinen und ihre Eltern für das Konzert zu begeistern. In der Adventszeit ist die Weihnachtsgeschichte bei den Kindern ohnehin präsent. Man kann anknüpfen an ein Thema, mit dem sich die Kinder sowieso gerade intensiv beschäftigen. Die Instrumente, der Chor, die schönen Melodien und ein freundlicher Erzähler tun ihr Übriges, um den Kindern – hoffentlich – eine Freude zu bereiten.
Welche Rolle spielt Musikvermittlung für Kinder in Ihrem Chor? Sind weitere Konzerte für Kinder geplant?
Viola: Leider hat das bisher noch keine große Rolle gespielt – auch aus finanziellen Gründen. Als Laienchor müssen wir besonders auf die Kosten achten, gerade auch bei dem Engagement eines größeren Orchesters. Das Weihnachtsoratorium für die Kinder werden wir daher unmittelbar vor dem eigentlichen „Erwachsenenkonzert“ machen, das im Anschluss ans Kinderkonzert stattfinden wird. Das Orchester muss also nur etwas früher kommen. Wenn das Kinderkonzert gut angenommen wird, werden wir ähnliche Formate sicher mit in unsere Jahresplanungen aufnehmen. Sehr gut können wir uns z.B. Mitsingkonzerte für Kinder vorstellen.
Viola von Behr verheiratet, Mutter von vier Kindern und Juristin, ist seit ihrer Schulzeit begeisterte Chorsängerin. 2015 ist sie in den Münchner Konzertchor eingetreten und hat sich von Anfang an neben dem Gesang in der Arbeit für den Chor engagiert. Im September 2021 wurde sie zum 1. Vorstand gewählt.
Was sollten Chöre beachten, die vielleicht zum ersten Mal ein Kinderkonzert organisieren?
Konstanze: Für uns ist es auch das erste Mal und wir hoffen, dass alles funktioniert und möglichst viele Mädchen und Buben mit ihren Eltern kommen werden.
Finanziell muss es für unsere jungen Besucher:innen attraktiv sein: Wir werden keinen Eintritt verlangen, aber den Hinweis geben, dass wir uns über Spenden freuen.
Werbung ist wesentlich: Wo und wie bewirbt man das Konzert? Wir werden also rechtzeitig an Kindergärten und Schulen herantreten.
Eine feste Sitzordnung sollte es nicht geben – und vor allem sollte ein Kinderkonzert auf keinen Fall zu lange dauern. Kinder haben noch kein so geübtes Sitzfleisch – wir wollen unsere kleinen Gäste nicht langweilen. Wir haben für unser Kinderkonzert deshalb eine Länge von 30-40 Minuten festgesetzt. Zum Abschluss werden wir dann gemeinsam mit den Kleinen ein Weihnachtslied singen.
Jeder, der Kinder hat, weiß, dass man sich darauf einlassen muss, dass sie nicht alle brav sitzen bleiben oder dass sie vielleicht auch mal Zwischenfragen stellen. Aber genau darauf freuen wir uns – durch Fragen und Interaktion entsteht schließlich gerade im jungen Alter Begeisterung.
Wir freuen uns schon sehr auf dieses besondere Konzert und sind sehr gespannt, wie unsere „Premiere“ von den Kindern angenommen wird.
Konstanze Schünemann, seit 2012 im Münchner Konzertchor, verheiratet, drei Kinder, arbeitet als kaufmännische Angestellte in der Tourismusbranche. Sie singt ebenfalls seit ihrer Kindheit. Aufgrund berufsbedingter Umzüge, die sie in verschiedene Ecken der Republik brachten, lernte sie unterschiedliche, hochklassige Laienchöre kennen. Im Münchner Konzertchor ist sie seit 2012, seit 2016 engagiert sie sich als 2. Vorstand.
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