„Oratorium hautnah“
Ein Konzert zum Zuhören und Mitsingen
Mitsingkonzerte haben Hochkonjunktur. Zum Glück, meint die Dirigentin Sabine Layer. Mit „ihrem“ Philharmonischen Chor Esslingen steckt sie derzeit mitten in den Proben für ein solches Konzert, das am 18. Mai 2025 im Neuen Blarer in Esslingen stattfinden wird. Sabine Layer hat uns teilhaben lassen an ihren Planungen und Überlegungen für dieses Projekt, in dem die Musik in ganz besonderer Weise für das Publikum erlebbar werden soll – selber singend!
Felix Mendelssohn Bartholdy
Elias
Oratorium nach Worten des Alten Testaments
op. 70
Carus 40.130
Die große Nachfrage zeigt, dass ein Bedürfnis vorhanden ist, die eigene Stimme musikalisch zu erheben und bei eindrucksvollen Aufführungen ohne viel Vorbereitungsaufwand dabei zu sein. Auch Mitsinglieder, beispielweise am Ende eines Konzertprogramms, werden begeistert angenommen. Wenn der ganze Saal enthusiastisch einstimmt, strahlen alle Gesichter. So habe ich es zuletzt erlebt im Advent 2024 bei „Fröhlich soll mein Herze springen“ am Ende des Konzerts „My spirit sang all day“ mit dem Philharmonischen Chor Esslingen.
Der Philharmonische Chor möchte sich 2025 nach einigen gemischten Programmen wieder seiner „Kernkompetenz“, der Gattung Oratorium widmen. Im Oktober steht der Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy an. Dass diese Musik in besonderer Weise „unter die Haut“ geht, war schon in den ersten Proben zu spüren.
Quasi als Vorkonzert für Chor und Publikum kam mir die Idee, im Mai ein Mitsingkonzert in etwas anderer Form anzubieten. Der Titel resultiert aus der Begeisterung des Chores für diese Musik und dem Wunsch, das Gefühl an das Publikum weiterzugeben – „Oratorium hautnah“!
Ein Konzert als Liebeserklärung an das Oratorium, ohne Vorprobe, eine Mischung aus Zuhören und Mitmachen, wie kann das funktionieren? Wie kann man Konzertbesucher*innen mit ganz unterschiedlichen musikalischen Vorkenntnissen so abholen, dass alle danach stolz und beseelt nach Hause gehen? Das Angebot muss vielfältig sein, anspruchsvoll und „easy going“ zugleich, so dass alle die Portion aktiv mitsingen, die sie vertragen, und die anderen Programmteile einfach genießen können. Eines der Stücke soll als „Music in Residence“ den ganzen Abend über in kurzen Einheiten detailliert geprobt werden. Dazu gibt es zwei Choräle, ein- oder mehrstimmig gesungen, einige „Hits“ aus der oratorischen Ohrwurmliste zum Mitsingen für die Kundigeren, inklusive einiger Abschnitte, die erstaunlich einfach umzusetzen sind und vielleicht auch die Vorsichtigen zum Mitsingen anregen, und dazwischen wunderschöne Musik zum Zuhören und Entspannen! Moderation, Probenarbeit, Konzertteile und ein wenig launiges Hintergrundwissen zum Thema Oratorium gehen nahtlos ineinander über.
Welche Musik könnte nun dieses Konzept zum Leben erwecken? Oratorische Highlights sind gefragt, viel Wiedererkennungseffekt, der die Lust zum Mitmachen weckt. Ins Finale meiner Überlegungen kamen:
Händel, aus: Messias
Halleluja
Mitsingen
Brahms, aus: Ein deutsches Requiem
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras (Nr. 2)
erster Teil Mitsingen
Wie lieblich sind deine Wohnungen (Nr. 4)
Zuhören
J. S. Bach, aus BWV 147 Herz und Mund und Tat und Leben
Choral: Jesus bleibet meine Freude
Mitsingen
Mendelssohn Bartholdy, aus: Elias
Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir
Zuhören
Choral: Wirf dein Anliegen auf den Herrn
Mitsingen
Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht
Zuhören
Wer bis an das Ende beharrt
Mitsingen
Und der Prophet Elias brach hervor
Zuhören
Das „Halleluja“ erklingt zu Beginn vom Chor und begleitet uns dann in kleinen Probeneinheiten durch den ganzen Konzertabend, um am Ende als krönender Abschluss aufgeführt zu werden. Hier kommen Chor und Publikum im Saal zusammen – natürlich im Stehen!
Als „Orchester“ steht uns eine hervorragende Pianistin zu Seite. Der stetige Wechsel zwischen Probenarbeit und Konzertatmosphäre wäre mit mehr Instrumentalist*innen nicht zu schaffen. Klanglich ist es trotzdem befriedigend; das Brahms-Requiem wird ja beispielsweise oft mit zwei Klavieren aufgeführt. Ich werde sehen, ob und wie die Probenarbeit vierstimmig funktioniert und dann entsprechend reagieren. Wir werden das Publikum nicht stimmenweise setzen, denn Paare und Kleingruppen, die gemeinsam in ein Konzert gehen, möchten den Abend sicher nicht getrennt verbringen.
Der komplette Ablauf mit geschätzten Zeiten:
Halleluja, Chor und Klavier 05 min
Moderation, Einsingen mit Melodien aus den Oratorien 10 min
Halleluja, erste Probe mit Publikum 10 min
Mitsingchoral Bach „Jesus bleibet meine Freude“
Probe und Durchlauf 1 mit Klavier 10 min
Brahms, Denn alles Fleisch (erster Teil)
Mitsingen, Probe bis: Aber des Herrn Wort… 15 min
Brahms Nr. 2 komplett, erster Teil mit Publikum 10 min
Halleluja, zweite Probe mit Publikum 10 min
Brahms, Wie lieblich sind deine Wohnungen (Zuhören) 06 min
Pause
Mitsingchoral Bach „Jesus bleibet meine Freude“
Durchlauf 2 mit Klavier 06 min
Halleluja, dritte Probe mit Publikum 10 min
Mitsingchoral Mendelssohn „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“
Probe mit Publikum 10 min
Moderation Elias, dann „Aufführung“:
Denn er hat seinen Engeln befohlen (Zuhören)
Arie: Herr Gott Abrahams
Choral „Wirf dein Anliegen“ (Mitsingen)
Siehe, der Hüter Israels (Zuhören)
Wer bis an das Ende beharrt (Mitsingen)
Arie: Ja, es sollen wohl Berge weichen
Und der Prophet Elias brach hervor (Zuhören) 25 min
Halleluja, Generalprobe mit Publikum 10 min
Halleluja, Aufführung, Chor beim Publikum im Saal 05 min
Da wir einen sehr guten Bariton im Chor haben, erklingen auch die beiden Arien „Herr Gott Abrahams“ und „Ja, es sollen wohl Berge weichen“, die direkt zu den beiden nachfolgenden Chorsätzen überleiten. So entsteht ein durchlaufender „Mini-Elias“, der schon eine intensive Konzertatmosphäre schafft. Die gemeinsame Aufführung des „Halleluja“ beschließt das Konzert. Ich bin sehr gespannt und wünsche mir, dass das Konzept aufgeht, als Werbung für den klassischen Chorgesang und als Leuchtreklame für das Oratorium! Ein ganz herzlicher Dank geht an die Belegschaft des Carus-Verlags für die allzeit unterstützende und flexible Zusammenarbeit – vor allem die Bereitstellung des Notenmaterials für das Mitsingheft!
UPDATE
Nun liegt das Mitsingkonzert „Oratorium hautnah“ schon zwei Wochen zurück, und immer noch erreichen mich begeisterte Rückmeldungen, die ich hier gerne mit Ihnen teile.
Zunächst aus meiner Sicht:
Das Konzert war sehr gut besucht, und die Zurückhaltung des Publikums verschwand im Laufe des Abends zunehmend. Die „Halleluja“ – Probenteile empfanden manche als anspruchsvoll, aber es war ja auch klar, dass alle „dürfen“ und niemand „muss“. Der Chor hatte die Aufgabe, kurze Stellen in Einzelstimmen als Beispiel vorzusingen und hat das bravourös präsentiert. So konnten alle das Stück bis zum Skelett kennenlernen, das Klangergebnis war brilliant! In den Zwischenteilen hatte ich eine Navigation anhand der Hauptthemen („Denn Gott der Herr regieret allmächtig“, „Und er regiert auf immer und ewig“) für das Publikum erstellt, die kontrapunktischen Motive durfte der Chor dann in der Aufführung beifügen.
Dankbar angenommen wurden die einstimmigen Mitsingteile, die beiden Choräle und die Melodie aus dem zweiten Teil des Brahms Requiems „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“. Den ganzen Abend über war die Stimmung gelöst, und es gab auch einige Lacher, zum Beispiel beim Training für die berühmte Generalpause am Ende des „Halleluja“. Der Chor, der ja in großen Teilen von meinem Rücken dirigiert wurde, hat unglaublich aufmerksam reagiert.
Besonders schön fand ich, dass meiner Aufforderung an „max.10 Personen“, auf die Bühne zu kommen und „Wer bis an das Ende beharrt“ aus dem „Elias“ im Probedurchlauf mitzusingen, sofort sogar mehr als 10 gefolgt sind, die sich ganz selbstverständlich im Chor verteilt und engagiert mitgesungen haben.
Unser „Mini-Elias“ schaffte wie gehofft intensive Konzertatmosphäre, auch dank unseres hervorragenden Solisten Claus Wild und Yu-Chieh Su am Flügel, die den gesamten Abend über sehr aufmerksam reagierte und Orchesterklang aus den Tasten zauberte.
Feedback aus verschiedenen Quellen:
Im Konzertbericht aus der Kulturbeilage der Eßlinger Zeitung heißt es:
„… standen im Neuen Blarer Hunderte Menschen und sangen voller Inbrunst das komplette „Halleluja“ von G.F. Händel. Es war ein powervoller Publikumschor aus Oratorienfreunden, die sich am Ende eines umjubelten Konzerts mit dem Philharmonischen Chor Esslingen vermischten und als krönenden Abschluss das Stück aufführten, das wie ein roter Faden durch alle Probenphasen des Abends gelaufen war.“
Auch aus dem Publikum habe ich viel Positives rückgemeldet bekommen, eine Dame aus Österreich rief extra nochmals an, um mir zu sagen, wie sehr ihr das Format gefallen hat.
Ein paar Zitate gebe ich gern weiter:
Eine Chorleiterin mit ihrem Mann:
„…herzlichen Glückwunsch zu diesem außergewöhnlichen und begeisternden Projekt gestern Abend! Wir haben diese Chorprobe mit Hörerlebnissen sehr genossen.“
Die Nachbarin einer Choristin:
„… ich war hell begeistert und fand das Gesamtarrangement großartig. Ich habe alles mitgesungen!“
Eine Chorsängerin über ihren Gatten, der nicht singt:
„Er hat es einfach genossen, fand die Infos und die Probenarbeit interessant und das ganze Konzert sehr gelungen.“
Unser weitgereister Fan aus Spaichingen:
„Liebe Sabine, ganz herzlich möchte ich mich bei dir und dem Chor für den außergewöhnlichen Abend bedanken! Es war ein wunderbares Geschenk, das du uns anlässlich deines 25jährigen Dirigentenjubiläums gemacht hast! Ich freue mich schon heute auf den „Elias“ im Oktober.“
Eine Chorsängerin:
„Liebe Sabine, ich hatte gestern wirklich Spaß und habe viel gelernt durch deine perfekte Moderation. Als wir zum Schluss gemeinsam mit dem Publikum das „Halleluja“ aufgeführt haben, konnten wir die große Freude spüren!“
Fazit:
Es war spannend und ein Wagnis, aber alle gehen mit einem sehr positiven Gefühl aus diesem Projekt, auch die Dirigentin!
Impression vom Mitsingkonzert
Sabine Layer hat als Dirigentin umfassende Erfahrung in der Leitung chorischer Großprojekte, ob szenisch oder konzertant (Staufer Festspiele Göppingen: Zauberflöte, Vogelhändler, Hänsel und Gretel u.a., sowie Educationprojekte der Internationalen Bachakademie, zuletzt: Die Schöpfung – Erde an Zukunft, 7 Städte, 1400 Grundschulkinder). Seit 25 Jahren leitet sie den Philharmonischen Chor Esslingen (über 100 Aktive). Daneben ist sie seit vielen Jahren Solorepetitorin in den Gesangsklassen der HMDK Stuttgart.
Ein tolles Konzept, aktivierend und mit niedrig-schwelligen Zugang: Die Musikbegeisterten werden da abgeholt, wo sie stehen. Keine aufwändige Probenphase, die den Kreis der Teilnehmenden gleich wieder einschränken würde. Ich bin schon jetzt gespannt, wie viele neue Sängerinnen und Sänger sich nach dem Konzert bei der Chorleiterin anmelden.
Viel Erfolg und beste Grüße aus Berlin!
M. Brlečić (Kinderchor-Leiterin)
Liebe Frau Brlečić, danke für die positive Rückmeldung! Als Kinderchorleiterin sind Sie dabei, den motivierenden Grundstein für begeistertes, lebenslanges Chorsingen zu legen, viel Erfolg auch Ihnen!
Herzliche Grüße nach Berlin, Sabine Layer
Bei solchen Projekten ist es immer spannend und faszinierend, wie in kurzer Zeit – dank professioneller Probenarbeit – Stücke erarbeitet werden und der Zuhörer zum Akteur und zu einem Teil des Ganzen wird. Eine tolle Gemeinschaftserfahrung, die allen großen Spaß bereitet!
Man geht als Zuhörer ins Konzert und als „Sänger“ wieder raus – ein wunderbares Format!!
Liebe Frau Vallon, ich freue mich sehr zu lesen, dass Sie offenbar positive Erfahrungen bei Mitsingprojekten gemacht haben! Was Sie formulieren, ist genau mein Ziel, und ich hoffe, dass wir es erreichen können!
Herzliche Grüße, Sabine Layer
Ein sehr interessantes Projekt, dem sich vielleicht Menschen anschließen, die sonst nicht mehr, oder noch nicht in der Lage sind, die reguläre Probenarbeit mitzumachen. Das ist quasi ELIAS light! Ich finde es großartig! Wir klassisch Orientierten müssen von unserer elitären Haltung ein Stück weit „runter“, und so öffnen wir uns und erfahren vielleicht Großartiges, Neues. Viel Erfolg der tollen Idee!!!
Liebe Frau Reusch,
ganz herzlichen Dank für Ihren ermutigenden Kommentar, ich habe mich sehr gefreut!
Viele Grüße, Sabine Layer