Klangvolle Jubiläen 2025

Scarlatti, Bizet, Salieri, Bortniansky, Brunckhorst, Hammerschmidt, Krieger

 

Gedenkjahre und Jubiläen lenken den Blick auf historische Persönlichkeiten und Ereignisse – sei es auf bekannte Komponisten oder auf weniger beachtete Jubilare. Eberhard von Oppen, ehemaliger und langjähriger Carus-Mitarbeiter, wirft einen Blick auf sieben Komponisten, deren Jubiläen wir in 2025 feiern.

Klingt eine Musik anders, wenn man sie genau 50 Jahre nach ihrer Uraufführung hört? Oder wenn ihr Schöpfer vor gerade 100 Jahren geboren wurde, oder exakt vor 250 Jahren starb? Mit Sicherheit nicht – und doch hat die Neigung, nach unserer dezimalen Orientierung „runde“ Zeitabstände aufzuspüren und Gedenkjahre zu proklamieren, einen positiven Effekt: Die Arithmetik kombiniert „willkürlich“, aber auf faszinierende Weise, historische Personen oder Ereignisse, und lenkt den Blick entweder neu auf vermeintlich Bekanntes, oder weckt persönliche Neugier auf noch n i c h t  Bekanntes. Das gilt für große Namen – in diesem Jahr etwa Palestrina (geboren 1525), Ravel (geboren 1875) oder Schostakowitsch (gestorben 1975) – aber auch für sieben diesjährige Jubilare, deren Schaffen eher selten oder (in den beiden letzten Fällen) nur sehr einseitig beachtet wird. Doch sie verdienen es, in den Blick genommen zu werden, und das soll im Folgenden mit einigen Werken geschehen, die sich im Carus-Programm finden. Gemeinsam ist ihnen (fast allen), neben dem runden Datum, auch ein indirekter oder direkter Bezug zu Italien, einem Land mit prägender Rolle in der europäischen Musikgeschichte. Und sie haben alle (auch) geistliche Musik komponiert, in vielfältigem christlich-konfessionellen Hintergrund – evangelisch, katholisch, orthodox.

Beginnen wir mit vier zeitlich eng verbundenen Jubilaren. Andreas Hammerschmidt, gestorben vor 350 Jahren, wurde 1611 oder 1612 in Böhmen geboren. Als evangelischer Glaubensflüchtling kam er mit seiner Familie in der Zeit der Gegenreformation nach Sachsen, wo er mehr als die Hälfte seines Lebens als Kirchenmusiker in Zittau wirkte. Als einer der bedeutendsten deutschen Meister des 17. Jahrhunderts bewegte er sich mit seinen Kompositionen in der Formenwelt zwischen Motette und Konzert, wie auch sein großes, u.a. in Italien ausgebildetes Vorbild Heinrich Schütz, der ihm vielfach öffentlich Anerkennung erwies. In seinem Werk stehen, wie bei Schütz, Inhalt und Diktion des deutschen Bibelworts im Mittelpunkt. Neben bekannten Motetten wie dem sechsstimmigen Machet die Tore weit sind bei Carus zahlreiche weitere Einzelausgaben und eine Sammlung von zehn Motetten (CV 4.006) zu entdecken – alles in moderatem Schwierigkeitsgrad. Einige davon sind auch auf der Hammerschmidt-CD mit den „Scarlattisti“ (CV 83.377) zu hören.

CD-Cover

Andreas Hammerschmidt
Herzlich lieb hab ich dich
Gli Scarlattisti
Leitung: Jochen Arnold
Carus 83.377/00

Andreas Hammerschmidt
Zehn Motetten
Carus 4.006/00

Coverbild Krieger

Johann Philipp Krieger
Cantate Domino (Singet dem Herrn)
Carus 10.050/00

Auch Johann Philipp Krieger, geboren 1649 in Nürnberg und 1725 in Weißenfels gestorben, wirkte jahrzehntelang am selben Ort, nach Studienjahren in Kopenhagen und Italien. Dort war er neben geistlicher Musik auch für weltliche Unterhaltung, einschließlich der Komposition und Aufführung von Opern, zuständig. Der Carus-Katalog enthält sechs kleinere solistische Kantaten, teilweise auch mit Chor-Beteiligung, sowie eine CD (CV 83.372) mit Solo-Kantaten mit Dorothee Mields, unterbrochen von drei Triosonaten dieses Komponisten. Sein Zeitgenosse Mattheson ehrte Krieger mit den Worten: „Dieweil er lebet, hat er einen größern Nahmen, denn andere tausend; und, nach seinem Tode bleibt ihm derselbe Nahme.“

Wie Krieger starb im Jahr 1725, also vor 300 Jahren, der Italiener Alessandro Scarlatti. Geboren 1660 in Palermo, war er sowohl in kirchlichen als auch in weltlichen Ämtern tätig. Scarlatti komponierte über 100 Opern und mehr als 660 Vokalwerke, die von weltlichen Solokantaten bis geistlichen Motetten reichen. Er war Lehrer seines Sohnes Domenico, sowie von Hasse und Geminiani und komponierte eine fast einstündige lateinische Passion nach dem Evangelisten Johannes (CV 10.007): Das Konzil von Trient (1545–63) hatte klare Textverständlichkeit gefordert und damit dem auch von Scarlatti benutzten Typus der responsorialen Passion den Weg gewiesen – vorzugsweise in lateinischer Sprache, weitgehend mit solistischen Rezitativen und nur kurzen vierstimmigen Turba-Chören. Dem damaligen Instrumenten-Verbot während der Karwoche widersprach es offenbar nicht, dass neben dem Continuo die Christus-Worte sowie Beginn und Schluss mit dem schlichten Streicher-Glanz zweier Violinen und einer Viola umgeben werden – wie wir es später auch aus Bachs Matthäus-Passion kennen.

Coverbild Scarlatti

Alessandro Scarlatti
Johannespassion
Carus 10.007/00

Coverbild Brunckhorst

Arnold Melchior Brunckhorst
Die Ostergeschichte
Carus 10.012/00

Über den wiederum 1725 gestorbenen norddeutschen Kirchenmusiker Arnold Melchior Brunckhorst ist nicht viel bekannt. Er war Organist in Hildesheim, Celle (wo er um 1670 mutmaßlich zur Welt kam) sowie schließlich in Hannover. Möglicherweise hatte er Verbindung zu Johann Sebastian Bach, den er in dessen Lüneburger Zeit (1700–02) vielleicht persönlich kennengelernt hatte. Die beiden überlieferten – und bei Carus erhältlichen – Werke erweisen sich als willkommene Bereicherung für Laienchöre: Die Weihnachtsgeschichte und Die Ostergeschichte – beide Titel stammen vom Herausgeber – bieten ebenso musizierfreudige wie besetzungs- und chortechnisch leicht umsetzbare Aufgaben, im Gegensatz zu den weitaus schwierigeren Werken von Schütz und Bach nach denselben Evangelienberichten.

Gehen wir 100 Jahre weiter zu Antonio Salieri, dessen Tod 1825 in Wien 200 Jahre zurückliegt. 1750 in Venetien geboren, lebte er mehr als doppelt so lang wie sein Zeitgenosse und Kollege Mozart, mit dem sein Name wieder und wieder verbunden wird. Der schon früh entstandene und wohl auch von Mozarts Witwe geförderte Verdacht, Salieri habe Mozart aus Künstlerneid vergiftet, ist längst widerlegt, wurde aber sogar – von Puschkin und Rimski-Korssakow – auf die Theater- und Opernbühne gebracht. Peter Shaffer und Milos Forman adaptierten 1984 (nach Shaffers vorherigem Theaterstück) die historisch unwahre Annahme, Salieri habe sich im Alter selbst bezichtigt, auch ohne Gift an Mozarts Tod schuldig zu sein. Der Film ist voll von überzeugenden, durchaus „wahren“ und bewegenden Einsichten in Mozarts Leben aus der Perspektive des erfolgreichen und anerkannten Künstlers Salieri, der das Genie des Kollegen erkannte und bewunderte. Der Zeitgenosse Friedrich Rochlitz schilderte Salieri als „höchst liebenswürdigen Menschen“ und eine ganze Generation von Schülern (darunter Beethoven, Schubert, Liszt und Meyerbeer) verehrte ihn. Mit 15 Jahren war er nach Wien gekommen, wo er es bis zum Hofkapellmeister brachte. (Davon konnte Mozart nur träumen!)

Coverbild Salieri Passion

Antonio Salieri
La Passione di nostro Signore Gesù Cristo
1776
Carus 40.942/00

Neben rund 40 Opern entstand viel weltliche und geistliche Vokalmusik, darunter auch La Passione di nostro Signore Gesú Cristo, eine Azione sacra auf eine italienische Dichtung des berühmten Librettisten Metastasio. Sie wurde mehr als zehnmal vertont, doch der Dichter schätzte Salieris Musik als „die ausdrucksvollste von allen“. Interessant ist die Idee des theologisch fundierten Textes: Am Abend des Karfreitags rekapitulieren vier Beteiligte – Maria Magdalena, Petrus, Johannes und Joseph von Arimathia – die Ereignisse des Tages, zugleich erschüttert und doch, nach Jesu Verheißung, mit der Hoffnung auf Ostern. Zahlreiche Rezitative und Arien der vier Solisten (in je einer der vier Stimmlagen) wechseln ab mit nur drei, aber gewichtigen Chorsätzen, darunter zwei großen Fugen-Finali jeweils zum Abschluss der beiden Teile des knapp einstündigen Werkes. Bei Carus erschien es als Erstausgabe (CV 40.942).

Coverbild Bortniansky

Dimitri Stepanowitsch Bortniansky
35 Geistliche Konzerte für Chor
Carus 4.111/00

Auch der folgende Jubilar, nahezu mit denselben Lebensdaten (1751-1825), wurde noch in jugendlichem Alter in eine ganz neue Umgebung versetzt: Dmitri Stepanowitsch Bortniansky wurde in der nord-ukrainischen Provinz geboren, kam jedoch bereits achtjährig als Sängerknabe an den Zarenhof der russischen Metropole St. Petersburg (auch wenn die Ukraine damals zum Zarenreich gehörte, lässt in unserer Zeit diese Verbindung aufhorchen!). In St. Petersburg wurde Bortniansky Schüler von Baldassare Galuppi, dem er nach dessen Rückkehr nach Italien mit kaiserlichem Stipendium dorthin folgen durfte.  Nach einigen Erfolgen mit Opern – was für ein europäischer Weg: Ein Ukrainer aus Russland als Opern-Komponist in Italien! – kehrte Bortniansky nach St. Petersburg zurück, wo er als erster Komponist slawischer Herkunft „Hauptkapellmeister“ des Hofchores wurde. (Dieser Chor war 1824 an der dortigen Uraufführung[!] von Beethovens Missa Solemnis beteiligt). Als Komponist schuf er nach dem italienischen Kirchenmusikideal einen eigenen Stil in der Musik des orthodoxen Gottesdienstes. „Russischer Palestrina“ wurde er genannt, und man attestierte der Musik eine innere „sängerische Italianità“.

Der Erfolg dieses Stils dehnte sich von der russischen Orthodoxie auch auf den preußischen Protestantismus aus. König Friedrich Wilhelm III. übernahm 1829 einige Sätze in seiner Liturgiereform, und Bortnianskys Tersteegen-Vertonung Ich bete an die Macht der Liebe bildet bis heute den feierlichen Abschluss des „Großen Zapfenstreiches“. Allenfalls durch dieses Lied ist Bortnianskys Name derzeit noch weiter bekannt. Das könnte wieder anders werden: Als heutige authentische Alternative zu einer Werkausgabe, in die der Herausgeber Tschaikowski selbst eingegriffen hatte, erschien bei Carus eine Sammlung der 35 Geistlichen Konzerte. Der Begriff meint nun aber etwas völlig anderes als bei Schütz oder Krieger: Ausgedehnte, meist vierstimmige Chorkompositionen, häufig basierend auf (gelegentlich kombinierten) Psalmtexten. Vor allem aber – da der orthodoxe Gottesdienst Instrumente ausschließt – zeichnet sich der Stil durch kunstvollen A-cappella-Satz aus, der die Stimmen der Instrumente sozusagen mit einkomponiert. Neben dem Sammelband (CV 4.111) stehen selbstverständlich Einzelausgaben zur Verfügung. Die kirchenslawischen Texte sind in einer Transliteration und im kyrillischen Original unterlegt; eine Auswahl von Konzerten gibt es auch mit einem deutschen Singtext.

Wie Bortniansky mit Ich bete an die Macht der Liebe werden etliche Komponisten zu Unrecht vor allem mit einem einzigen Werk in Verbindung gebracht, wie Mascagni oder Max Bruch (der sein immer wieder verlangtes g-moll-Violinkonzert schließlich fast verfluchte). Bei Georges Bizet, geboren 1838 in Paris und – vor 150 Jahren – 1875 gestorben, denkt man, vielleicht mal abgesehen von den Arlésienne-Suiten, vor allem an Carmen. Von diesem Meisterwerk erlebte der Komponist nur noch den Misserfolg der Uraufführung, drei Monate vor seinem Tod, weit entfernt von der Vorstellung, dass es einmal eine der weltweit meistgespielten Opern werden könnte. Wie bei Mozart, Schubert und Mendelssohn zeigte sich auch bei Bizet sehr früh eine Hochbegabung; und mit den drei genannten Kollegen teilt er ebenso das Schicksal eines frühen Todes mit weniger als 40 Jahren. Der phänomenale Pianist arrangierte u.a. Mozarts gesamten Don Giovanni für Soloklavier, also inklusive der Gesangsstimmen. 18-jährig gewann er den renommierten Prix de Rome, und der damit verbundene zweijährige Rom-Aufenthalt vermittelte wichtige Anregungen. Gleich zu Beginn entstand dort sein Te Deum, jedoch weniger aus persönlicher Motivation („Sicher ist, dass ich nicht geschaffen bin, um geistliche Musik zu machen“), als um sein hohes Können zu demonstrieren: Gerade die finale Fuge zeigt alle Regeln der Kunst. Bizets trotz seiner eigenen Einschränkung ausdrucksstarkes, etwa 20minütiges Werk, erschien bei Carus erstmals mit käuflichem Material (CV 27.187).

Vermutlich mit Ausnahme der beiden Passionswerke von Scarlatti und Salieri dürften alle Kompositionen auch noch für das gegenwärtige Gedenkjahr einstudier- und aufführbar sein – aber vielleicht könnten sie ja auch, im Sinne der eingangs gestellten Frage, lohnende Vorhaben sein für ein Jahr mit 251. Geburts- oder 312. Todestag, oder mit 173. Uraufführungs-Jubiläum? Dennoch – und übrigens nicht nur in der Musik, wie in diesem Jahr z.B. bei Mascha Kaléko oder Thomas Mann, bei Albert Schweitzer, Ernesto Cardenal oder Helmuth James von Moltke – gilt:

Manch Ereignis, Werk, Mensch, Zeit
zeigen bei Gelegenheit
des „Gedenkjahrs“ neue Seiten,
die die Horizonte weiten.

(Eberhard von Oppen)

Coverbild Bizet

Georges Bizet
Te Deum
1858
Carus 27.187/00

Eberhard v. Oppen verabschiedete sich 2021 nach vielen Jahren im Kundenservice von Carus in den wohlverdienten Ruhestand.

Weitere Werke von Jubilaren

G. P. da Palestrina: Missa Papae Marcelli

Maurice Ravel: L’Aurore

Arnold Melchior Brunckhorst: Die Weihnachtsgeschichte

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