Kann man Dirigiertechnik aus einer App und einem Buch lernen?
Autor Jan Schumacher über die neue Chorleitungsschule
Dirigieren – Proben – Singen. Das Chorleitungsbuch und Conductor’s Coach. Die Dirigier-App sind vor wenigen Monaten im Carus-Verlag erschienen und bilden zusammen ein umfassendes Kompendium zum Thema Dirigieren. Jan Schumacher erklärt, wie hilfreich eine solide Dirigiertechnik ist.
Der Dirigent
Das Kompetenz-Mosaik von Dirigenten ist umfangreich und anspruchsvoll. Die Dirigiertechnik ist dabei nur ein Teilbereich dieses Kompetenz-Mosaiks und – im Vergleich zur Gesangsausbildung und den Spieltechniken der meisten Instrumente – eine recht junge Disziplin, da auch Dirigenten (im heutigen Sinne) ein noch relativ neues Phänomen der Musikgeschichte sind.
Es gibt viele verschiedene und teilweise sehr unterschiedliche dirigiertechnische Ansätze und Unterrichtsmethoden und es gibt auch Dirigenten und Dirigierlehrer, die den technischen Aspekten des Dirigierens wenig Bedeutung schenken. Sicherlich kann es vorkommen, dass charismatische und musikalisch außergewöhnlich ausdrucksstarke Persönlichkeiten auf eine gute Dirigiertechnik weniger angewiesen sind als andere. Dirigenten können auch in ausgezeichneter und detaillierter Probenarbeit das Ensemble so auf Perfektion ‚trainieren’, dass letztlich ein Dirigat kaum nötig ist.
Spricht man jedoch mit Solisten, Chorsängern und Orchestermusikern oder erfährt man selbst als Mitsingender oder -spielender in einem Ensemble (ein Rollenwechsel, den man als Dirigent regelmäßig vornehmen sollte!), wie zielführend und hilfreich eine klare Dirigiertechnik und Zeichensprache ist und wie viel Wert die Musiker eben doch auf diese Klarheit legen, wird schnell deutlich, welchen zentralen Baustein die Dirigiertechnik im oben genannten Kompetenz-Mosaik darstellt und wie wichtig sie für eine erfolgreiche Arbeit als Dirigent ist.
Musikalität kann man nur bis zu einem gewissen Grad erlernen. Eine gute Dirigiertechnik hingegen kann man sich aneignen. Höchster musikalischer Genuss kann für die Musiker und Zuhörer entstehen, wenn bei einem Dirigenten tief verankerte Musikalität und vollendete Technik zusammentreffen, denn dann ist dieser in der Lage, das musikalische Kunstwerk, das immer das Zentrum unserer Beschäftigung sein soll, so zu gestalten, als würde es im Moment des Erklingens gerade erst entstehen.
Dirigieren – Proben – Singen
Buch
Carus 24.100/10
Dirigieren – Proben – Singen
Praxisband
Carus 24.100/20
Dirigieren – Proben – Singen
Set: Buch + Praxisband
Carus 24.100/00
Der gestische ‚Werkzeugkasten‘
Die Bewegungen eines Dirigenten folgen einem grundsätzlich fixierten, aber dennoch sehr variablen Schema. Einerseits werden die Dirigierbewegungen von den Musikern in Chor und Orchester bewusst aufgenommen und unmittelbar umgesetzt. Andererseits sendet ein Dirigent durch seine Gesten auch Informationen, die von den Ensemblemitgliedern nur unterbewusst wahrgenommen werden, sich aber ebenso direkt im Musizieren widerspiegeln.
Bis zu einem gewissen Grad kann, soll oder muss ein Dirigent das Ensemble für die Dekodierung seiner dirigentischen Bewegungen sensibilisieren (manche Laien muss man geradezu schulen). Zusätzlich sollte der Dirigent zu jeder Zeit reflektieren und erspüren, welche klanglichen Auswirkungen seine Bewegungen auf das jeweilige Ensemble haben und seine Gestik eventuell anpassen oder verändern.
Es sollte das Bestreben jedes Dirigenten sein, die eigene Dirigiertechnik in bestmöglicher Weise im Dienste der Musik zu pflegen und weiterzuentwickeln. Das unverzichtbare dirigiertechnische Repertoire ist im Grunde nicht sehr groß, aber es gibt unendlich viele Modifikationen und Variationsmöglichkeiten. In jedem Fall soll die dirigentische Zeichensprache für alle Musiker klar verständlich und im Verhältnis zur Musik stimmig, organisch und im Rahmen einer ästhetischen Form ganz natürlich sein.
Reine Technikübungen völlig losgelost von einem musikalischen Kontext durchzuführen, mag zunächst unbefriedigend oder gar sinnlos scheinen. Da man als Dirigent jedoch wahrend Proben und Konzerten die eigene Aufmerksamkeit nur zu einem sehr geringen Teil auf das Dirigat fokussieren kann, sollte man alle dirigiertechnischen Grundlagen und Differenzierungen sehr gut verinnerlicht haben. Nur wenn man jederzeit alle Bausteine des gestischen ‚Werkzeugkastens‘ abrufen kann, ist man in der Lage, entspannt und inspiriert mit einem Ensemble zu musizieren.
Dirigiertechnik aus einem Buch lernen?
Für das Dirigieren gilt dasselbe wie für jedes Instrument, einschließlich der Gesangsstimme: Fortschritte erzielt man vor allem durch Übung und Praxis. Die Lektüre eines Buches allein kann nicht ausreichen. Ein Problem des Dirigieren-Übens ist, dass ein Dirigent (anders als ein Sänger oder ein Instrumentalist, der sich allein mit seinem Instrument zum Üben zurückziehen kann) zum Erlernen seiner Profession ein ganzes Ensemble benötigt. Schlimmer noch: Das Ensemble schaut dem Dirigenten beim Üben zu!
Es ist daher ratsam, dass angehende Dirigenten schon vor ihrem ersten Kontakt mit einem Chor oder Orchester einige dirigiertechnische Grundlagen lernen, um mit einer gewissen Sicherheit vor ein Ensemble treten zu können. Idealerweise erarbeitet man die Grundlagen zusammen mit einem Dirigierlehrer, der sofort notwendige Korrekturen in den Bewegungsabläufen vornehmen kann. Im weiteren Verlauf der Ausbildung – sei es in Dirigierkursen, Meisterklassen oder im Rahmen eines Hochschulstudiums – sollte die schrittweise Entwicklung der Dirigiertechnik ständig mit praktischer Ensemblearbeit verknüpft werden, um die erlernte Technik ‚am Instrument‘ ausprobieren zu können. Im besten Fall kann man abwechselnd mit Laien- und Profiensembles, (Gesangs)Solisten, Chören und Instrumentalensembles verschiedener Größen und Besetzungen arbeiten, um die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Gruppierungen kennenzulernen, sowie umfangreiche Erfahrungen mit unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen und Genres zu sammeln.
Die Realität der Dirigentenausbildung sieht jedoch oft anders aus. Insbesondere im Laienbereich erhalten viele (oft nebenberuflich tätige) Dirigenten nur schwer Zugang zu Kursen, Meisterklassen oder gar einem Musikstudium. Und sollte man sich doch einmal Zeit für eine Fortbildung nehmen können, so spielt die differenzierte Dirigiertechnik dabei oft nur eine geringe Rolle.
Hier setzt mein Beitrag in Dirigieren – Proben – Singen. Das Chorleitungsbuch an. Denn in den oben beschriebenen Situationen kann ein Buch durchaus hilfreich für das Erlernen, Auffrischen oder Reflektieren von Dirigiertechnik sein. Das begleitende Material (Praxisband und Conductor´s Coach. Die Dirigier-App) unterstützt ein Selbststudium, es kann aber auch begleitend zu einer von einem Lehrer geführten Dirigierausbildung genutzt werden. Das Buch und die ergänzenden Materialien verstehen sich als eine Handreichung für Lernende und Lehrende.
Warum gibt es „Conductor’s Coach. Die Dirigier-App“?
Viele Bewegungsformen lassen sich sprachlich zwar gut beschreiben, die Bewegung selbst zu sehen, bedeutet jedoch, dass die Details sehr viel genauer und unkomplizierter wahrgenommen werden können. Aber je differenzierter fortgeschrittener die Dirigierbewegungen werden sind, desto schwieriger ist es, diese durch Worte zu erklären. Aus der Beschäftigung mit meinem Text für das Buch entstand daher die Idee, parallel eine App zu entwickeln, in der man die im Buch beschriebene Dirigiertechnik auch sehen und mit speziellen Tools auch selbstständig üben kann. Hierfür wurde ein Videoplayer entwickelt, der auf das Dirigieren-Üben abgestimmte Funktionen bietet. Wer sich eine solide Dirigiertechnik aneignen will, ist mit der Kombination aus App und Buch sehr gut aufgestellt.
Hier setzt mein Beitrag in Dirigieren – Proben – Singen. Das Chorleitungsbuch an. Denn in den oben beschriebenen Situationen kann ein Buch durchaus hilfreich für das Erlernen, Auffrischen oder Reflektieren von Dirigiertechnik sein. Das begleitende Material (Praxisband und Conductor´s Coach. Die Dirigier-App) unterstützt ein Selbststudium, es kann aber auch begleitend zu einer von einem Lehrer geführten Dirigierausbildung genutzt werden. Das Buch und die ergänzenden Materialien verstehen sich als eine Handreichung für Lernende und Lehrende.
Ein persönliches Wort
Wie zu Beginn erwähnt, gibt es für die Ausbildung von Dirigenten – gerade auch im Hinblick auf die Dirigiertechnik – sehr unterschiedliche Ansätze, Methoden und Schulen. In der Praxis sind die von der jeweiligen Schule formulierten idealisierenden Feststellungen mit den Personalstilen konfrontiert, die von Körperlichkeit und Wesensart des jeweiligen Dirigenten bzw. Dirigierschülers geprägt sind. Im Sinne des bereits erwähnten Kompetenzmosaiks leuchtet es ein, dass viele Wege zum Erfolg führen können. Trotzdem ergibt der Versuch, eine in sich geschlossene Methode zum Erlernen einer Dirigiertechnik zu formulieren, quasi ‚subjektiv objektiviert‘ Sinn.
Es hat zwischen 10 und 15 Jahren gedauert, bis ich eine für mich selbst passende Form der Dirigiertechnik gefunden habe. Dabei war es hilfreich, dass ich Einflüsse von sehr verschiedenen Dirigenten aufnehmen und zusammenführen konnte und dass ich von vielen Lehrern lernen durfte, auch wenn es für mich mit Prof. Wolfgang Schäfer eine besonders wichtige und prägende Lehrerpersönlichkeit gab.
Meine persönliche Entwicklung empfinde ich jedoch nie als völlig abgeschlossen. Als Dirigent lernt und reflektiert man ein Leben lang. Auch meine eigene Unterrichtstätigkeit mit Dirigierschülern aller Alters- und Niveaustufen und in sehr unterschiedlichen Unterrichtskontexten hat mich den Bereich Dirigiertechnik immer wieder neu überdenken lassen.
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