Singverbot in den Schulen im Schuljahr 2020/2021

Die Verlage Carus und Helbling beziehen Stellung

Das pauschale Verbot des Singens in den Schulen in Baden-Württemberg im kommenden Schuljahr gefährdet die erfolgreiche musikalische Arbeit in den Schulen existenziell. Dabei brauchen Kinder gerade jetzt nicht nur Mathe und Naturwissenschaften, sondern auch seelische Nahrung. Dies belegt die jüngst vorgestellte COPSY-Studie zum Thema Kindergesundheit in Corona-Zeiten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, die eine starke Zunahme von Stress, Angst und Depressionen feststellt, erschreckend eindrucksvoll. Die Verlage Helbling und Carus beziehen Stellung zum Konzept des Kultusministeriums Baden-Württemberg vom 7.7.2020 zum Regelbetrieb an Schulen im neuen Schuljahr.

 

Update: Die vielen Proteste der Chor- und Schulmusikverbände sowie der Verlage haben Gehör gefunden: Das pauschale Singverbot für das neue Schuljahr ist aufgehoben. Weitere Infos zu den Vorgaben, unter denen wieder gesungen und musiziert werden darf, finden Sie hier auf den Seiten des Kultusministerums.

Das jüngste Konzept des Kultusministeriums BW, das schulische Singen in geschlossenen Räumen im Schuljahr 2020/21 zu untersagen, ruft in vielfacher Hinsicht Kritik hervor und ist in seiner undifferenzierten Darstellung nicht akzeptabel. Bei allem Verständnis und Konsens für die Notwendigkeit eines nachhaltigen Hygienekonzeptes an den Schulen schießt diese undifferenzierte und pauschale Verordnung über das Ziel hinaus und schadet damit dem Fach, dem Stellenwert des Singens für die kindliche Entwicklung allgemein und damit auch den Schülerinnen und Schülern und ihrer persönlichen und emotionalen Entwicklung.

Eine generelle Untersagung des Singens in geschlossenen Räumen trägt dem gegenwärtigen Kenntnisstand zu einem angemessenen Verhalten unter Pandemiebedingungen in keiner Weise Rechnung und lässt sowohl einen differenzierten Umgang wie auch kreative Alternativen außer Acht. Nach Auskunft führender Musikermediziner ist z.B. gegen ein Singen in größeren Räumen mit Abstand oder im Klassenzimmer mit einfacher medizinischer Maske nichts einzuwenden. Auch aus musikpädagogischer Sicht ist das Ergebnis mit einer nur leichten Klangveränderung durch einen Mund-Nasen-Schutz sehr gut vertretbar, denn es kommt beim Klassensingen nicht primär auf die Klanggestaltung oder eine Erarbeitung zum Ziel einer Aufführung an. Vielmehr stehen die mannigfaltigen Gründe im Vordergrund, die seit jeher das Singen im Klassenverband begründen: Das Ermöglichen emotionaler Zugänge zu diversen Unterrichtsinhalten, Eintauchen in Jahreszeiten und Jahreskreis durch Lieder, Schaffen von Gemeinschaft und die Förderung sozialer Kompetenzen, Förderung der individuellen Ausdrucksmöglichkeiten, Unterstützung der Sprachkompetenz von nicht muttersprachlichen Kindern, Freude im Umgang mit der Stimme und Sprache, Arbeiten an Kontexten in Verbindung mit Lehrplanthemen, Aufgreifen von Musikgeschichte und Jugendkulturen (Popularmusik), Schulung der Stimme für eine mögliche spätere Teilhabe an schulischen und außerschulischen Ensembles etc..

Statt einer pauschalen Stigmatisierung des Singens, die auch im Hinblick auf die Wahrnehmung der Bedeutung des Musikunterrichtes in der breiten Bevölkerung gefährlich ist, sind kreative und differenzierte Lösungen gefragt wie:

  • Singen im Klassenverband mit einfacher medizinischer Maske
  • Zusätzlich mögliche lockere Verteilung im Klassenraum
  • Summen von Liedern, Singen in Teilgruppen (jeder Übernächste)
  • Beschränkung der Dauer des Singens samt Lüftungsregeln
  • Singen in Aula, Foyer oder Turnhalle soweit diese nicht belegt sind. Auch dieses sind geschlossene Räume, die das Pauschalverbot jetzt außer Acht lässt.

Gleiche Lösungen sind auch für das Singen im AG-Bereich zutreffend. Auch hier ist ein pauschales Verbot nicht hilfreich und nicht begründet. Durch die Wahl eines geeigneten und gut lüftbaren Raumes samt entsprechender Beschränkung der Anzahl der Mitwirkenden ist ein gemeinsames Singen möglich und unbedingt wünschenswert.

Wir schlagen daher für das „Konzept für einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“ eine Formulierungsänderung vor: Statt „Singen in geschlossenen Räumen ist ausgeschlossen, dies gilt auch für die Verwendung von Blasinstrumenten“

soll es heißen:

„Wegen der besonderen Übertragungsmöglichkeiten beim Singen oder Blasinstrumentenspiel kann dieses im schulischen Rahmen nur mit einem entsprechenden Hygienekonzept stattfinden. Geeignete Maßnahmen über die bereits geltenden Hinweise hinaus beinhalten ggf. Abstandsregeln, die Anwendung eines Mund-Nasen-Schutzes beim Singen im Klassenzimmer oder in vergleichbaren Räumen bzw. das Ausweichen in geeignete größere Räume wie Aula, Foyer oder Turnhalle sowie ein Lüftungsprotokoll.“

Das Singen in der Schule pauschal zu verbieten ist aus medizinischer Sicht nicht notwendig und aus entwicklungspsychologischer unserer Meinung nach fahrlässig. Dazu ist ein Singverbot ethisch und gesellschaftspolitisch äußerst bedenklich. Singen muss unter Wahrung sinnvoller Hygienekonzepte möglich sein. Erinnert sei auch an namhafte Studien, dass Singen durch die vielfältige Aktivierung des Körpers das Immunsystem stärkt. Auch dieser Aspekt spricht gegen ein generelles Verbot des Singens im schulischen Bereich.

Ester Petri und Dr. med. Johannes Graulich (beide Carus-Verlag), Alwin Wollinger (Helbling Verlag)

Ester Petri
Carus-Verlag, Geschäftsführerin

Dr. med. Johannes Graulich
Carus-Verlag, Geschäftsführer und Verleger

Alwin Wollinger
Helbling Verlag, Verlagsleitung

2 Antworten
  1. Gabriele Gruber
    Gabriele Gruber sagte:

    Ein äußerst wichtiges Statement zum Thema Singen, vielen Dank dafür!
    Die genannten Argumente kann ich nur deutlichst unterstreichen. Das Singen in Kirchenchören ist unter Abstands- und Hygieneregeln wieder möglich. Warum es lt. Kultusministerium BW ein Singverbot in Schulen, die ja in der Regel über mehrere größere Räumlichkeiten verfügen, im neuen Schuljahr geben soll, erschließt sich auch mir in keinster Weise. Es sollte in unser aller Interesse mit rechtzeitiger und umsichtiger Planung von Seiten der Verantwortlichen möglich sein, dieses Singverbot in den Schulen zu verhindern.
    Ich unterstütze Ihre Stellungnahme in vollem Umfang!
    Freundliche Grüße
    Gabriele Gruber

    Antworten

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