Banner Puccini-Symposium

Puccini-Symposium

Ein Tagungsbericht vom 16. Januar 2024

Als fulminanter Tag, sowohl aus wissenschaftlich-künstlerischer als auch persönlicher Perspektive, bleibt Dienstag, der 16. Januar 2024 in den Räumlichkeiten des Carus-Verlags im Gedächtnis. Der erste Todestag des bekannten Stuttgarter Puccini-Forschers Dieter Schickling wurde vom Carus-Verlag gemeinsam mit dem Centro Studi Giacomo Puccini und der Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini zum Anlass genommen, um aktuelle Forschungstendenzen und Projekte zu resümieren, die gemeinsamen Projekte und Errungenschaften der vergangenen Jahre zusammenzutragen und dabei auch immer einen Blick in die Zukunft der Puccini-Forschung zu werfen.

Am Beginn stand die herzliche Begrüßung der Repräsentant*innen der drei wichtigsten Institutionen des Symposiums: Johannes Graulich, geschäftsführender Gesellschafter des Carus-Verlages, Gabriella Biagi Ravenni vom Centro Studi und Virgilio Bernardoni von der Edizione Nazionale.

Thematisch begonnen wurde die Tagung mit dem physischen Vermächtnis von Dieter Schickling, der sogenannten „Schickling-Sammlung“, die inzwischen im Centro Studi inventarisiert und in diese eingegliedert wurde. Der Musikwissenschaftler Marco Gallenga gewährte dabei einen Einblick in die Katalogisierungsarbeit und die Vielfalt von Schicklings privater Bibliothek. Die beeindruckende Zahl von über 1.700 Büchern, Theaterzetteln, Zeitschriften etc. verdeutlichten die Vielseitigkeit des Forschers Schickling und zeigte auch die Wichtigkeit Puccinis in seiner Sammeltätigkeit: Über 600 thematische Publikationen sind in dieser Sammlung enthalten und an der Spitze der Puccini-Werke steht Manon Lescaut mit insgesamt 34 Publikationen. Die vielen Sprachen und auch die akribisch gesammelten und kommentierten Ausgaben verwiesen auf die Genauigkeit Schicklings, ließen Marco Gallenga aber auch zu einer weiterführenden Schlussfolgerung anleiten: Die physischen Objekte werden Einzelpersonen überstehen und als weiterführende Anregungspunkte für die Zukunft dienen.

Gabriella Biagi Ravenni knüpfte in ihrem Vortrag an Schicklings Monographie über Puccini an: Die Spurensuche Schicklings führte dabei nicht nur auf die geographischen Wirkungsstätten Puccinis, sondern bildete auch den Grundstein für eine Briefedition: Um die 4.000 Briefe hat Schickling bearbeitet – die Hälfte war bislang nicht publiziert – und nach der Gründung des Centro Studi di Giacomo Puccini (1996) entwickelte sich das Projekt der Briefedition Epistolario stets weiter. Was Ende der 1980er Jahre und in den 1990er Jahren noch als Papiersammlung begonnen hatte, wurde in den letzten Jahren sukzessive digitalisiert und dabei die Datenstruktur und Suchfunktion systematisiert. So waren 2011 bereits 20.000 Briefe zu verzeichnen, die teils aus antiquarischen Erwerbungen von Dieter Schickling stammen. Einen lokalen Stuttgarter Bezug präsentierte Ravenni mit einer Postkarte des Stuttgarter Schlosses Solitude (datiert aus dem Jahre 1914), die Puccini vermutlich bei seinem Aufenthalt in Stuttgart im Jahr zuvor erworben hatte.

Direkt in die Quellen- bzw. Manuskriptforschung in die Sammlung des Boccherini-Konservatoriums (Lucca) führte Giulio Battelli in seinem Kurzvortrag ein. Die 22 Manuskripte Puccinis, die er der Bibliothek des Konservatoriums hinterlassen hat, reizten auch Dieter Schickling zum mehrfachen Besuch der dortigen Sammlung und der erweiterten Quellenrecherche. Beispielhaft präsentierte Battelli dabei Puccinis Quartett in D-Dur von 1882, das von Dieter Schickling gemeinsam mit Wolfgang Ludwig rekonstruiert wurde: Da es kein zusammenhängendes Manuskript von Puccini gab, mussten alle Sätze in unterschiedlichen Quellen und Abschriften lokalisiert und kombiniert werden. Dokumentiert blieben dieser Editionsprozess und das klangliche Ergebnis in der SWR2 Sendereihe mit dem Mannheimer Streichquartett und einem Interview mit Dieter Schickling.

Diese Überlegungen zur physischen Quellenarbeit ergänzte Siel Agugliaro durch aktuelle Einblicke in den aufgebauten Online-Katalog zu Puccinis Werken und Quellverweisen. In der demonstrierten Betaversion der Datenbank verdeutlichte er die Wichtigkeit des gedruckten und kommentierten Katalogs von Schickling, der die Basis für die Datenbank darstellt. Die interaktiven Vorteile des Online-Katalogs lagen dabei auf der Hand, wenn beispielsweise zwischen den Manuskripten und Druckausgaben Querverweise möglich sind und Werkprozesse sowie wissenschaftliche Erkenntnisse miteinander verknüpft werden können.

Eine eindrucksvolle Chronik, nämlich den Prozess, wie der Carus-Verlag zu einem Puccini-Verlag wurde, zeichnete Cheflektor Uwe Wolf nach, in dem er den kritischen Editionsprozess der Messa a 4 voci con orchestra (Carus 56.001) offenlegte und bislang unbekannte Lektoratskorrespondenz sichtete. Erst im dritten Anlauf und mit dem dritten und finalen Herausgeber Dieter Schickling war es gelungen eine kritische und lang erwartete Neuausgabe vorzulegen. Die Erfahrungen in der Editionspraxis mit der Edizione Nazionale, die 2007 gegründet wurde, setzten sich weiter fort und neu ist der Klavierband, herausgegeben vom Präsidenten der Edizione Nazionale, Virgilio Bernadoni. Erste klangliche Eindrücke dieser Ausgabe brachte die Stuttgarter Pianistin Elisabeth Grünert in der Mittagspause des Symposiums dem begeisterten Publikum zu Gehör.

Neben diesen instrumentalen Editionsprojekten teilte Andreas Gies noch methodische Überlegungen zu kritischen Operneditionen, anschaulich illustriert am Beispiel von Tosca: Die unterschiedlichen Stadien und Werkprozesse sowohl im Libretto als auch in der Vertonung machen die kritische Edition herausfordernd, da folgende Details berücksichtigt werden müssen. Das Autograph konnte noch Fehler enthalten, die in späterer Überarbeitung berichtigt werden mussten und die gedruckte Partitur ist zudem bei den frühen Aufführungen als Arbeitsmaterial (work in progress) zu verstehen. Gies plädierte deshalb, sich von der letzten eigenhändigen (Arbeits-)Partitur rückwärts bis zum Autograph zu arbeiten, um den Werkprozess am besten beurteilen zu können und so zur idealen kritischen Ausgabe zu kommen.

Den musikwissenschaftlichen Schlussimpuls setzte die digital zugeschaltete Deborah Burton mit der Vorstellung Ihres neu rekonstruierten Schlusses der Oper Turandot. Behutsam auf die bereits vorhandenen Fassungen Puccinis Oper eingehend, verdeutlichte sie ihren reflektierten quellenkritischen Zugang und bezog sich zudem noch auf eine Korrespondenz mit Dieter Schickling kurz vor seinem Ableben im Januar 2023.

Insgesamt zeigte dieses Symposium nicht nur vielschichtige Herangehensweisen an Puccinis Werk, sondern auch die Verknüpfungen und Synergien, die sich im Carus-Verlag entfalteten: Den Forschungsgeist Dieter Schicklings, die Kooperationen mit der Edizione Nazionale und dem Centro Studi und neue Forschungs- und Editionspläne. Das Puccini-Jahr 2024 wurden somit ideenreich eingeleitet und bescherte den zahlreichen Gästen einen außergewöhnlichen Tag in Stuttgart.

Dieter Schickling
Puccini-Biografie
Carus 24.126

Epistolario I, 1877–1896
Edizione Nazionale Delle Opere di Giacomo Puccini
Carus 56.101

Messa a 4 voci con orchestra
Messa di Gloria, Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, III/2
SC 6
Carus 56.001/01 (kartonierte Ausgabe)

Große Ausstellungshalle des Carus-Verlags beim Puccini-Symposium. Dr. Johannes Graulich, geschäftsführender Gesellschafter von Carus, moderiert die digital zugeschaltete Deborah Burton an.

Weitere Eindrücke zum Puccini-Symposium erhalten Sie auf unserem Instagram-Kanal.

Lorenz Adamer studierte an den Universitäten Wien (AT), Cremona/Pavia (ITA) und Tübingen Musikwissenschaft und Philosophie. Seit dem Sommer 2017 arbeitet er beim Carus-Verlag, zunächst als Vertriebsassistent, mittlerweile in der Lizenzabteilung. In seiner Freizeit spielt er leidenschaftlich Klarinette und singt gerne im Chor.

Verwandte Werke

Giacomo Puccini: Biografie

Carus 24.126

Die Biografie, die auf den neuesten Stand der Forschung basiert, widmet sich gleichermaßen Puccinis Leben wie seinem Werk. Deutlich wird, wie Puccini um die musikalische Umsetzung des unmittelbaren Ausdrucks von Emotionen gerungen hat, ausgehend von der Suche nach dem geeigneten Stoff und der passenden Librettosprache über sein Interesse an der Zeitstruktur der Bühnenhandlung bis zum Einsatz verschiedenster, teilweise völlig neuer Kompositionstechniken.

Messa a 4 voci con orchestra

Carus 56.001

Puccini komponierte seine Messa a 4 voci con orchestra („Messa di Gloria“) in den Jahren 1878–1880. Die musikalische Qualität, der Schwung und die Frische dieses Jugendwerkes veranlassten den Komponisten, in späteren Opern seine Messa zu zitieren und sicherten dem Werk – nach seiner Wiederentdeckung im Jahre 1952 – eine stetig wachsende Beliebtheit. Die wissenschaftlich-kritische Ausgabe von Puccinis einziger Messe ist der erste Band der „Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini“.

Composizioni per orchestra

Carus 56.002

Als zweiter Band der „Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini“, Abteilung „Musikalische Werke“, erscheint die Kritische Neuausgabe der Kompositionen für Orchester. Neben den bereits bekannten Werken Preludio a orchestra (SC 1), Preludio sinfonico (SC 32), Trio in Fa (SC 52) und Capriccio sinfonico (SC 55) enthält der Band auch das kurze und unbekannte Adagetto (SC 51), eine vermutlich aus der Mailänder Studienzeit Puccinis stammende Kompositionsskizze, sowie erstmals die kürzlich aufgetauchte Orchesterfassung des Scherzos in La (SC 34) von 1882.

Composizioni per Organo

Carus 56.003

Edizione Nazionale delle Opere di Giacomo Puccini, II/2.1

Die Orgel ist das Instrument, mit dem der junge Giacomo Puccini als Musiker debütierte. Durch die Wiederentdeckung einer beträchtlichen Anzahl von handgeschriebenen Stücken, die er nach 1870 komponierte, um den Aufträgen als Organist in den Kirchen von Lucca nachzukommen, stehen heute direkte Quellen zur Verfügung. Diese geben einen Einblick in die Anfangszeit seiner musikalischen Aktivitäten, welche bisher nur aus Anekdoten seiner ersten Biografen bekannt waren.

Adagetto

Carus 16.208

Puccinis Adagetto für ein kleiner besetztes Orchester (ohne Trompeten, Posaunen und Pauken) entstand vermutlich schon in den frühen 1880er Jahren während der Mailänder Studienzeit des Komponisten. Puccini griff das Thema einige Jahre später in seiner Oper Edgar wieder auf.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert