Mit Schütz durch das Jahr (II)
Werke für Passion und Ostern
Am 6.11.1672 (nach dem julianischen Kalender, bzw. dem 16.11. in unserem heutigen, gregorianischen Kalender) verstarb in Dresden hochbetagt der kurfürstliche Kapellmeister Heinrich Schütz. Der 350. Todestag im Jahr 2022 gibt uns Gelegenheit, an einen der wichtigsten und wegweisendsten Komponisten unserer Musikgeschichte zu erinnern. Sein breites Œuvre erlaubt uns in fast jeder Konstellation von Vokalmusik (fast ausschließlich solche ist von Schütz erhalten), während des ganzen Jahres mit passender Musik Heinrich Schütz zu gedenken, mit ihm durch das Jahr zu gehen.
Passionszeit
Historienkompositionen sind von Heinrich Schütz nicht nur zu Weihnachten, sondern auch zu Passion und Ostern erhalten. Zu diesen zählen auch die drei Passionen SWV 479, 480 und 481; diese beziehen sich – abgesehen von Introitus und Conclusio – allein auf den Bibeltext. Anders als die anderen Historien verzichten die Passionen aber gänzlich auf Instrumente: Es gibt sowohl unbegleiteten (und unrhythmisiert-notierten) Sologesang, als auch vierstimmige Turbae-Chöre. Gerade in dieser Reduktion der Mittel handelt es sich um eindrückliche, unter die Haut gehende Stücke, die aber stimmlich wie intonatorisch für die Sänger eine enorme Herausforderung darstellen (eine Dreiviertelstunde nonstop a cappella!).
Näher an unseren Hör- wie Aufführungsgewohnheiten steht da die wohl als nicht-liturgische Andachtsmusik entstandene Vertonung der Sieben Worte Jesu Christi am Kreuz SWV 478. Umrahmt von zwei motettischen Chorsätzen und zwei fünfstimmigen Symphoniae werden die sieben Jesus-Worte von einem Tenor und zwei Diskantinstrumenten mit Basso continuo vorgetragen; die verbindende Evangelisten-Partien übernehmen unterschiedliche Stimmen und sind z.T. auch chorisch gesetzt. Hiermit sind gut 10 Minuten abwechslungsreiche Musik mit überschaubarem Aufwand umsetzbar (bei den beiden Symphoniae kann man durchaus auch auf die Mittelstimmen verzichten und sie nur mit den auch sonst benötigten Instrumenten besetzen).
Immer im Schatten der Geistlichen Chor-Music stehen die Cantiones sacrae von 1625; ganz zu Unrecht! Gerade zur Passion halten die Cantiones sacrae tolle Stücke bereit, darunter ein Zyklus von fünf (natürlich auch einzeln aufführbaren) Passionsmotetten. Der Satz ist aufgelockerter als in den meisten Motetten der Geistlichen Chor-Musik, eher für Ensemble als großen Chor geeignet, aber von ungeheurer Intensität und harmonischer Dichte. Eine wirklich lohnende Herausforderung für Kammerchöre.
Unter den Psalmen, die in den Gottesdiensten der Passionszeit vorgesehen sind, hat Schütz den Psalm 111 Ich danke dem Herrn von ganzen Herzen (Gründonnerstag) mehrfach vertont. Auf den ersten Blick in einem Corona-Jahr kaum erreichbar scheint die vierchörige Komposition aus den Psalmen Davids (SWV 34). Doch schon Schütz hat zwei der vier Chöre als verzichtbar gekennzeichnet und die beiden verbleibenden Chören bieten sich für eine instrumental-vokale Aufführung geradezu an (aber in beiden Chören muss mindestens eine Stimme gesungen werden!). In der Passionszeit sollte allerdings auf die Doxologie nach Gabrieli verzichtet werden. Alternativ zu den Psalmen Davids kann man wie immer auf Schütz‘ Becker-Psalter zurückgreifen: Ich will von Herzen danken SWV 209 (der zweite in dieser Ausgabe enthaltene Psalm 118 ist Ostern zugeordnet). Wie in Teil I unserer kleinen Reihe ausgeführt, eröffnen diese Psalmen zahlreiche Aufführungsmöglichkeiten von Singstimmen mit Basso continuo bis hin zu großen Besetzungen aus Chor und Instrumenten.
Heinrich Schütz
Die Sieben Worte Jesu am Kreuz SWV 478
Carus 20.478
Cantiones Sacrae
- Schütz Gesamtausgabe, Bd. 5:
Carus 20.905 - Schütz Gesamtaufnahme, Vol. 5:
Carus 83.252
Mariae Verkündigung
In die Passionszeit fällt das Fest Mariae Verkündigung (25.3.). Schütz hat dafür eine ausgesprochen reizvolle Dialogkomposition komponiert: Sei gegrüßet Maria SWV 333 (oder lateinisch Ave Maria gratia plena SWV 334). Auf die Besonderheit dieses Dialogs zwischen dem Engel und Maria, die zunächst so gar nicht weiß, wie ihr geschieht, hat bereits Werner Breig im Carus-Blog bereits hingewiesen.
Sei gegrüßet, Maria, du Holdselige SWV 333
Carus 20.333
Osterzeit
Auch zu Ostern ist von Schütz eine Historie erhalten, die Historia der Auferstehung Jesu Christi SWV 50. In dieser bemerkenswerten Komposition hat Schütz den traditionellen, unmetrisierten Vortrag des Evangelienberichts verbunden mit dem modernen Basso continuo und einer Haltetonbegleitung eines Gambenensembles; nur die Zeilenschlüsse sind gemeinsam rhythmisiert. Die Soliloquenten hingegen sind als kleine Generalbasskonzerte vertont, die – hochmodern – den Stil der Kleinen geistlichen Konzerte vorwegnehmen. Der Chor tritt nur rahmend am Anfang und Ende mit zwei motettischen Sätzen sowie in einem Turba-Chor in Erscheinung. Mit einer Aufführungsdauer von etwa einer Dreiviertelstunde und dem großen Aufgebot an kleinen Solorollen (SSSAATTBarB) ist zu befürchten, dass diese Komposition 2022 nicht oft zu hören sein wird. Trotzdem: Wo immer möglich, wärmstens empfohlen!
Leichter umzusetzen ist der „kleine Bruder“ der Auferstehungshistorie: der Osterdialog „Weib, was weinest du“ SWV 443. Er beschränkt sich auf den Dialog der Maria Magdalena mit dem auferstanden Jesus in Gestalt eines Gärtners (auch in der Auferstehungshistorie vorhanden). Eine kurze Komposition für 2 Soprane (Maria) und 2 Tenöre (Jesus) und Continuo (ca. 4 Min.). Toll, wie Schütz das ‚Aneinandervorbeireden‘ des Ruhe ausstrahlenden Jesus und der aufgeregt „plappernden“ Maria in Musik gesetzt hat, ebenso wie den völligen Umschwung bei der direkten Ansprache „Maria“ und dem erkennenden: „Rabuni“!
Bei der berühmten Frage, was man auf eine einsame Insel unbedingt mitnehmen würde, steht diese Komposition bei mir ganz oben auf der Liste!
Zu diesem Stück gehörte ein Schlusschor, der aber bis auf den Basso continuo verschollen ist. Unsere neue Edition bietet eine Rekonstruktion dieses Schlusschors für die beteiligten Stimmen (SSTT), die aber auch für Chor SATB geeignet ist.
Für Ostern ist die Palette der Kompositionen groß – bis hin zum strahlenden Surrexit pastor bonus SWV 469 „à 11 vel si placet à 19“. Dem festlichen Anlass gemäß sind aber auch viele der anderen österlichen Werke eher groß besetzt. Auch die zur Geistlichen Chor-Music gehörende Oster-Motette Ich weiß, dass mein Erlöser lebt SWV 393 ist Teil der am größten besetzten Gruppe (7 Stimmen plus Bc). Für Ostern eignet sich auch die sechsstimmige Motette Die Himmel erzählen die Ehre Gottes SWV 386 (Ps. 19). Eine handschriftlich überlieferte Fassung dieser Motette (SWV 455) ist mit konkreten Aufführungsanweisungen versehen. Schütz unterscheidet dort eine Solistengruppe (zuzüglich „zu jeder Stimme ein lieblich Instrument als Violen“) und eine Cappella („mit blasenden Instrumenten, starck bestellet“). Die Angaben „solus“ und „omnes“ sind auch in der gedruckten Fassung noch zu finden. Dies zeigt aufs Neue, dass die Motetten der Geistlichen Chor-Musik für vielfältigere Aufführungsvarianten intendiert sind als in der heutigen Praxis üblich. Auch die – bereits genannte – gemischt vokal-instrumentale Aufführungsweise kommt natürlich für beide Motetten in Frage.
Psalm 19 gibt es aber freilich auch im Becker-Psalter als Die Himmel, Herr, preisen sehr SWV 115 ebenso wie den schon erwähnten Wochenpsalm für Ostern, Psalm 118 Lasst uns Gott den Herren SWV 216. Beide können wieder als Grundlage für abwechslungsreiche – oder auch insgesamt ganz klein besetzte – Darbietung dienen.
Auferstehungshistorie SWV 50
- Partitur: Carus 20.050
- Gesamtausgabe: Carus 20.904
Osterdialog „Weib, was weinest du“ SWV 443
- Partitur: Carus 20.443
- Chorpartitur: Carus 20.443/06
- Einzelstimme (Generalbass): Carus 20.443/11
Dr. Uwe Wolf ist als Musikwissenschaftler vor allem im 17. und 18. Jahrhundert zuhause. Seine Arbeitsschwerpunkte reichen von der Zeit Monteverdis und Schütz über Bach und die Generation der Bach-Söhne und -Schüler bis hin zur Wiener Klassik. Seit Oktober 2011 leitet er das Lektorat des Carus-Verlags.
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