Vivaldis Gloria
… und wie es zur Gründung des Carus-Verlags kam
Nachdem es in den 60er-Jahren keine zufriedenstellende gedruckte Ausgabe von Vivaldis Gloria gab, beschloss Chorleiter Günter Graulich kurzerhand, die Noten für eine Aufführung mit seinem Chor selbst aus dem Autograph zu erstellen. Die Nachfrage nach der Ausgabe wuchs und damit auch die Notwendigkeit, sie zu drucken. Damit schlug die Geburtsstunde des Carus-Verlag – und aus dem Chorleiter wurde der Verleger.
Für den Motettenchor Stuttgart, den ich gegründet und 50 Jahre lang geleitet habe (1951–2001), war ich ständig auf der Suche nach interessanten Werken, die in Stuttgart noch nie aufgeführt wurden oder schon lange nicht mehr. In einer Kartei hielt ich fest, welche Werke die Stuttgarter Chöre zur Aufführung brachten. Vivaldi war nicht darunter. In den Beständen der Württembergischen Landesbibliothek konnte ich mir einen Überblick verschaffen, was Vivaldi an geistlicher Chormusik komponiert hat und was davon bislang gedruckt vorlag. Verglichen mit heute war das nicht einfach, weil es noch kein Internet gab. Zu meiner Überraschung waren es nur wenige Werke, die damals schon gedruckt vorlagen, darunter das Gloria. Diesem Werk galt mein vorrangiges Interesse und der italienische Musikwissenschaftler Malipiero hatte es bei Ricordi herausgegeben. Doch seine Edition konnte ich nicht gebrauchen, denn sie stellte sich als Bearbeitung heraus mit zahlreichen Veränderungen des Originals: Ergänzung weiterer Instrumente und Änderungen auch im Notentext, mit denen der Komponist Malipiero glaubte, das Gloria ‘verbessern’ zu können. So fuhr ich 1968 nach Turin zu den meist autographen Beständen, die dort in der Biblioteca Reale aufbewahrt werden. In einem Convolut von Vivaldis Kirchenmusik befand sich auch die autographe Partitur des Gloria, die ich in Autopsie übertragen habe.
So sah das Cover der ersten Ausgabe von Vivaldis Gloria (1972) aus – heute hat es sein Aussehen verändert!
- Partitur: Carus 40.001/50
- carus music, the Choir Coach (App): Carus 73.314/02
- Carus Choir Coach (Audio only): Carus 40.001/91
Auf dieser Grundlage habe ich mit Hilfe meiner Frau handschriftlich das gesamte Aufführungsmaterial für meine Stuttgarter Aufführung hergestellt. Weil ich Vivaldis Kirchenmusik nicht nur mit einem Werk vorstellen wollte, ließ ich mir aus Turin Mikrofilme der Vesperpsalmen und des Magnificat nachkommen. Auf unser Vivaldi-Konzert in der Stiftskirche (1968) kamen Anfragen nach Leihmaterial, vor allem des Gloria. Das war schwierig für mich, denn mein Material sollte ohne fremde Eintragungen bleiben. Weil es damals noch keine Kopierer gab, musste neues Material geschrieben werden; dabei halfen Mitglieder meines Chores. Doch die Anfragen nahmen zu, sodass ich mich entschloss, Friedrich Hänssler, in dessen Verlag ich damals als externer Lektor mitarbeitete, das Gloria zur Inverlagnahme anzubieten. Hänssler aber zögerte und im dritten Jahr meiner Anfrage lehnte er ab mit der Bemerkung, ‘verlegen Sie’s doch selber’. Meinen Einwand, dass dies für mich sehr schwierig sei und mir auch das nötige Kapital fehle, ließ er nicht gelten.
Seine Zusage, Werbung und Vertrieb zu übernehmen führte dazu, dass ich Partitur und Aufführungsmaterial des Gloria durch den Notengrafiker Reiner Knierim mit Notaset herstellen und in der Druckerei Markert in Steinenbronn, wo wir damals wohnten, drucken ließ. [Dort arbeitete damals als Lehrling Werner Böttler, der später in Walddorfhäslach eine eigene Druckerei gründete, mit der wir bis heute zusammenarbeiten.] Das für die Herstellung nötige Kapital lieh uns ein Chormitglied aus, dessen Kredit wir schon nach wenigen Monaten zurückzahlen konnten, denn die Nachfrage war überraschend groß. Von Anfang war das Gloria ein Bestseller und blieb es.
1972 wurde mit Vivaldis Gloria als Opus 1 der Carus-Verlag gegründet. Bis 1988 wurde es vom Hänssler-Verlag ausgeliefert, dessen Reihen 1 bis 39 vier Jahre später zu Carus kamen.
Günter Graulich (*1926), Verlagsgründer
Lieber Herr Graulich
ob Sie sich noch daran erinnern: im Dezember 1976 besuchten Sie uns in Mexiko, um Ihre Chorreise vom Sommer 1977 vorzubereiten. Ich war damals Kantor der Deutschen Evang. Gemeinde in Mexiko-Stadt. Wir hatten eine gute Zeit zusammen und Sie haben uns sehr grosszügig einiges an Notenmaterial dagelassen, was für uns sehr hilfreich war. Ich kehrte 1980 wieder nach Europa zurück. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir uns irgendwann mal noch an der Musikmesse in Frankfurt gesehen.
Ich hoffe, es gehe Ihnen gut! Von Herzen gratuliere ich zum Jubiläum des für die ganze Chorszene so wichtigen und unverzichtbaren Carus-Verlags!
Mit ganz herzlichen Grüssen aus der Schweiz, Ihr Wilfried Schnetzler
Lieber Herr Schnetzler, welch schöne Erinnerung! Vielen Dank für die so schöne Gratulation und die langjährige Verbindung zum Verlag. Ihr Carus-Team
Liebes Carus-Team,
vielen Dank für den sehr schönen Blog, der sehr gut zu lesen ist.
Interessant finde ich die Parallelen zur aktuellen Zeit, weil pandemiebedingt einige Menschen etwas Neues auf die Beine stellen mussten, weil Vieles nicht mehr ging. Wahrscheinlich war Herr Graulich damals nicht darauf angewiesen, und trotzdem ein so großartiges Ergebnis!
Wir drücken uns allen gegenseitig die Daumen, dass es weitergeht, denn diese Arbeit macht grundsätzlich so viel Freude, dass man sich nichts anderes mehr vorstellen möchte!
Mit lieben Grüßen aus Osnabrück,
Sabine Backhaus