Gesellig und humorvoll?
Ein vorsichtiger Blick auf Bachs Persönlichkeit
Was wissen wir eigentlich von dem Menschen Bach, jenseits der Idealisierung des Thomaskantors und der gottähnlichen Stilisierung des Musikers? Nur wenige Äußerungen von ihm oder Zeitgenossen ermöglichen vorsichtige Vermutungen über seinen menschlichen Umgang. Einige seiner weltlichen Kantaten, die vom gesellschaftlichen Leben seiner Zeit zeugen, lassen dabei humorvoll-heitere Züge erahnen.
Der Versuch, ein gesichertes Bild von Johann Sebastian Bachs Persönlichkeit zu gewinnen, gehört zu den schwierigen Aufgaben der Forschung. Es wäre vermessen, dies in umfassender Weise tun zu wollen, da die überlieferten Quellen gerade hinsichtlich solcher Fragestellungen kaum weitreichende Deutungen erlauben. Vermutlich ist dieses Desideratum auch auf Bach selbst zurückzuführen. Und es lässt sich – wie Paul Hindemith einmal sinngemäß formulierte – vielleicht am ehesten mit der „austernhaften Verschlossenheit“ des Komponisten erklären. Diese scheinbare Verschwiegenheit ist nicht allein in Bachs Privatkorrespondenz wahrzunehmen, gleichermaßen finden wir auch in Schilderungen der Zeitgenossen, in den Erinnerungsberichten seiner Söhne und Schüler lediglich spärliche Hinweise auf Bachs Persönlichkeit. Wir wissen nicht, weshalb sich Carl Philipp Emanuel und Johann Friedrich Agricola in einem Ende 1750 verfassten Nekrolog auf Bach einer Aussage über dessen Charakter beinahe gänzlich enthielten. Eher allgemein bemerkten sie: „Von seinem moralischen Character, mögen diejenigen reden, die seines Umgangs und seiner Freundschaft genossen haben, und Zeugen seiner Redlichkeit gegen Gott und den Nächsten gewesen sind.“
„Friedfertig, ruhig und gleichmüthig“?
Mitteilungen über seine familiäre und private Sphäre finden sich in Bachs wenigen persönlichen Briefen allenfalls am Rande. Mangelnde Federgewandtheit und vielleicht auch fehlendes Mitteilungsbedürfnis mögen ihn davon abgehalten haben, seine persönlichen Lebensumstände umfassend zu beschreiben. Auch wenn wir davon ausgehen müssen, dass Bachs Privatkorrespondenz in erheblichem Umfang verschollen ist, so bleibt dennoch zu bedenken, dass allein äußere Lebensumstände, sein stets voller Terminkalender – vor allem nach 1723 – ihn nicht zu einem regen Briefkorrespondenten werden ließen. Bei dem mitunter kaum zu bewältigenden Arbeitspensum verblieb ihm nur minimaler Freiraum für persönliche Belange. Leider ist den erhalten gebliebenen Quellen überwiegend nur das zu entnehmen, was in Abweichung von Dienstvorschriften oder sonstigen Gesetzmäßigkeiten zu spontanen Auseinandersetzungen oder langwierigen Konflikten führte. Streitigkeiten um Kompetenzfragen oder Geldangelegenheiten sind gleichfalls vorherrschende Themen. Die Normalität im Alltag des Thomaskantors, der von Natur aus eher „friedfertig, ruhig und gleichmüthig“ war und nur ausnahmsweise „gewaltig in Harnisch gerieth und seinem Eifer in den stärksten Ausdrücken Luft zu machen suchte“, wird damit keineswegs beschrieben. Und inwieweit diese, von Carl Ludwig Hilgenfeldt 1850 mitgeteilte Schilderung wirklich den Tatsachen entspricht, können wir heute nicht mehr feststellen. Zumindest hatte der Bach-Biograph noch Zugang zu Informationen, die indirekt auf Carl Philipp Emanuel Bach zurückgehen.
So ist es denn auch eher zufällig, was sich über Bachs täglichen Umgang, seine Vorlieben, Abneigungen, Vorzüge und Schwächen den erhaltenen Dokumenten entlocken lässt. Fast nebenbei erfahren wir, dass er neben erlesenen Speisen auch „Toback“ und alkoholische Getränke wie Bier, Leipziger Gose, „Hefen Brandewein“, „süßen Most“ sowie verschiedene Sorten Wein zu schätzen wusste. Abstinenz war seine Sache offenkundig nicht. Wohl aus Anlass seiner Vermählung mit Anna Magdalena orderte er 4 Eimer und 13 Maß Rheinwein für die stolze Summe von 84 Talern und 16 Groschen. Seine Gattin hegte überdies besonderes Interesse an der Gärtnerei, an blauen Nelken und bunten Singvögeln.
„Der Umgang mit ihm war jedermann angenehm und oft sehr erbaulich“
Die umgänglichen Eheleute waren durch ihre bewundernswerte Gastfreundschaft bekannt und beherbergten zu Hause zahllose Besucher. Carl Philipp Emanuel Bach berichtet über seinen kontaktfreudigen Vater, der aus Zeitmangel nur selten zur Feder griff, aber dafür jede Gelegenheit nutzte, „mit braven Leuten sich mündlich zu unterhalten, weil sein Haus einem Taubenhause und deßen Lebhaftigkeit vollkommen gliche. Der Umgang mit ihm war jedermann angenehm und oft sehr erbaulich. Weil er nie selbst von seinem Leben etwas aufgesetzt hat, so sind die Lücken darin unvermeidlich.“
Mehrere Empfehlungsschreiben bezeugen, mit welcher Aufopferung sich Bach für das berufliche Fortkommen seiner Söhne und Schüler engagierte. Väterliche Fürsorge und warmherziges Bemühen um den „leider mißrathenen Sohn“, den intelligenten, aber haltlosen Johann Gottfried Bernhard Bach, sprechen eindrücklich aus seinem Brief an einen befreundeten Ratsherrn in Sangerhausen. Bachs Familiensinn und seinem pädagogischen Geschick verdanken wir die Klavierbücher für seine älteren Söhne und Anna Magdalena. Ganz gewiss war er ein liebenswerter Gatte und Familienvater.
Über seine unbeschwert-heitere Seite ist den überlieferten Dokumenten wenig zu entnehmen. Als umso interessanter erweisen sich daher Kompositionen, aus denen sein humorvoller Wesenszug hervorscheint. Hierzu gehören etwa das sogenannte „Hochzeitsquodlibet“ (BWV 524) mit seinen vielen Wortspielen und derben, ja frivolen Anzüglichkeiten aus Bachs früher Zeit (um 1708), die höchst unterhaltsame „Kaffeekantate“ Schweigt stille, plaudert nicht (BWV 211) oder die „Bauernkantate“ Mer hahn en neue Oberkeet (BWV 212) zur Erbhuldigung von Carl Heinrich von Dieskau aus dem Frühjahr 1742 – ein äußerst amüsantes Spätwerk aus der Feder des Thomaskantors. Dieser betitelte es als „Cantate burlesque“ (komische Kantate).
Sauflieder und Anzüglichkeiten
Mit unglaublich viel Ironie, Esprit und doppelbödigem Witz nehmen Bach und sein Librettist Christian Friedrich Henrici (alias Picander) die lokalen Verhältnisse, nämlich jene am Rittergut zu Kleinzschocher (bei Leipzig) aufs Korn – und das teilweise in obersächsischer Mundart. Die neue „Oberkeet“ (Obrigkeit), der „vortreffliche“ Kammerherr selbst nebst seiner gnädigen Gemahlin dürften sich bei der Darbietung des humoresken Stückes verschiedene Anzüglichkeiten in Wort und Musik mit süß-saurer Mine angehört haben. Tanzvergnügen und Freibier rundeten die feucht-fröhliche Ergebenheitsbekundung für den neuen Gutsbesitzer ab und der Ortsgeistliche muss dem fidelen Treiben mit verkniffenem Gesichtsausdruck etwas ratlos zuschauen. Eine ausgelassene Potpourri-Ouvertüre in der Dorfmusikanten-Besetzung von Violine, Viola und Kontrabass sowie verschiedene populäre Melodie-Zitate (aus beliebten Gassenhauern und Saufliedern) gehören zu den Novitäten der letzten nachgewiesenen weltlichen Komposition des Thomaskantors. Dieser würde sich freilich verleugnen, hätte er auf einen solch kunstvollen Satz wie die anmutige Sopranarie „Klein-Zschocher müsse, so zart und süße“ verzichtet. Wie in Mozarts Musikalischem Spaß wird manche Anspielung in der Kantate wohl nie ganz enträtselt werden.
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