Bühne frei für „Aus der Reihe getanzt“
Ein Interview mit der Komponistin Anne Riegler
Der Zirkusdirektor will das Aufziehmännchen gerne loswerden. Das Aufziehmännchen aber rettet die Tänzerin, als sie in Gefahr gerät, und bekommt nachher selbst Hilfe von den anderen Zirkusleuten. Sie alle halten gegen den Zirkusdirektor zusammen und führen ihn schließlich zur Einsicht. Mit dieser Geschichte gewann die Komponistin, Pianistin und Pädagogin Anne Riegler den ersten Preis beim Kompositionswettbewerb BÜHNE FREI. Im Interview spricht sie über ihr neuestes Kindermusical Aus der Reihe getanzt – ab 2026 erhältlich bei Carus.
Frau Riegler, Sie sind Pianistin, Klavierpädagogin und Komponistin. Sie sagen selbst, dass es Ihnen ein großes Anliegen ist, die Freude an Musicalaufführungen weiterzugeben, die Sie als Kind erlebt haben. Wie sahen da Ihre kindlichen Erfahrungen genau aus? Welche Erfahrungen wollen Sie weitergeben an den Nachwuchs heute?
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, dass ich mit vier Jahren dem Kinderchor meiner Eltern beigetreten bin. Dort habe ich an vielen Musicalaufführungen im Chor und als Solistin mitgewirkt, einige davon sind auch bei Carus erschienen und von meinem Vater komponiert. Das Gemeinschaftsgefühl, die tolle Musik, das Auf-der-Bühne stehen und ein Projekt über Monate hinweg vorzubereiten sind sehr bereichernde und unvergessliche Erfahrungen. Hinterher ist man glücklich, stolz und berührt und teilt dies alles mit seinen Freunden und vielleicht der Familie. Ich hoffe, dass viele Kinder und Jugendliche so etwas auch erleben können.
Sie sind gleichermaßen Komponistin und Librettistin Ihrer Kinder- und Jugendmusicals. Wie gehen Sie die Komposition in der Regel an? Woher kommt die textliche und musikalische Idee?
Bei meinen biblischen Musicals steht die Geschichte, also die inhaltliche Grundlage, im Alten Testament. Ich überlege und plane dann: Wie funktioniert die Geschichte für Kinder auf der Bühne? Was ist wichtig, was weniger wichtig, was kann man weglassen? Als nächstes kommt eine grobe Einteilung der Geschehnisse, die ich entweder in einem Lied, einem Dialog oder durch einen Erzähler realisiere. Dieses Verhältnis muss ausgeglichen sein, damit keine Längen entstehen und es abwechslungsreich bleibt. Anschließend schreibe ich die Dialoge und die Lieder. Bei den Liedern entstehen meistens zuerst Text und Melodie, dann Klaviersatz und Instrumentierung. Manchmal steht als Idee am Anfang ein Reim, manchmal ein Stück Melodie, manchmal eine harmonische Wendung. Daraus entsteht dann das Lied. Vorher muss mir klar sein, welche Stimmung und welchen Ausdruck das Lied transportieren soll. Wenn ich nicht sicher bin, schreibe ich auf, welchen Inhalt das Lied haben könnte, und suche dann nach griffigen Formulierungen. Für die Reime greife ich gerne auf Synonym- und Reimlexika zurück.
Geht Ihnen das Komponieren locker von der Hand?
Wenn ich ungestörte Zeit habe und inspiriert bin, geht es sehr schnell. Mein erstes Kindermusical habe ich in ca. einer Woche geschrieben, in der ich bis spät in die Nacht gearbeitet habe; dann kamen noch ein paar Tage für die Instrumentierung hinzu. Aber danach brauchte ich erst einmal eine Pause, um meinen Kreativitätsspeicher wieder aufzufüllen. Ich komponiere im Kopf und am Klavier, spiele, singe und spreche vor mich hin und halte fest, was mir gefällt.
Preisträgerin Anne Riegler mit Ester Petri (Geschäftsleitung), Barbara Großmann (Lektorat) und Marit Ketelsen (Marketing & Vertrieb) vom Carus-Verlag
Herzlichen Glückwunsch zum ersten Preis beim Wettbewerb „Bühne frei“ für Ihr Kindermusical „Aus der Reihe getanzt“! Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Musical gekommen?
Das ist eine interessante Geschichte, die Ihren Anfang schon 2015 hat: Damals bin ich für mein Klavier-Masterstudium nach New York City gegangen. An meiner Uni gab es viele Wahlfächer zum Thema Improvisation, die mich zum Komponieren angeregt haben. Das hatte ich nach einigen unbedarften Versuchen in meiner Kindheit nicht mehr getan. Dort entstand also die Geschichte des Musicals, die ich damals als Werk für Klavier und Sprecher komponiert habe. In dieser Fassung lese ich die Geschichte vor und spiele dazwischen illustrative Klavierstücke. Diese erste Komposition hat mir viel Spaß gemacht und ich habe sie schon oft aufgeführt. Danach habe ich angefangen, Kindermusicals zu komponieren. Als ich dann vom Wettbewerb erfuhr, hatte ich die Idee, dieses Stück als Musical umzuarbeiten. Die Geschichte ist die gleiche, und für viele der Lieder habe ich Motive und Ideen aus den Klavierstücken benutzt und mit Text versehen. Manche Lieder sind aber auch ganz neu entstanden, zum Beispiel das Schlusslied.
Für welche Altersstufen und Gruppen eignet sich das Musical besonders?
Das Stück richtet sich an Kinder und Jugendliche, ca. 5.-7. Klasse, und kann von Kinderchören und Schulen aufgeführt werden. Dazu können noch Tanzgruppen kommen.
Welche Werte/Botschaften möchten Sie mit Ihrem Musical vermitteln?
Mir war schon beim Schreiben der Geschichte wichtig, dass sie inhaltlich sowohl für Kinder, als auch für Erwachsene interessant ist. Kinder erleben ein modernes Märchen, in dem es um Zirkus, Freundschaft und den Sieg über das Böse geht. Für Jugendliche geht es darum, den eigenen Platz zu finden, um Selbstwertgefühl, die eigenen Stärken und Schwächen, und den Mut, für sich selbst einzustehen. Aus erwachsener Sicht werden auch gesellschaftliche Themen berührt, wie die Rolle der Frau unter einem übergriffigen Chef, und der Mut, sich aus einer unbequemen Lage erfolgreich zu befreien. Und schließlich die Frage, was in einem glücklichen Leben wirklich zählt.
Was ist hier Ihr persönliches musikalisches Highlight?
Ich liebe die Musik von Maurice Ravel, der dieses Jahr 150. Geburtstag hat, und habe ein Thema aus einem Meisterwerk für Klavier in die Szene mit den Wassernixen eingearbeitet: Das Thema der „Ondine“, aus „Gaspard de la nuit“. Darin geht es auch um Wassernixen. Im Musical mag ich dieses Lied ebenfalls sehr gern. Außerdem das Schlusslied, das hat bei mir einen wochenlangen Ohrwurm verursacht.
Welche aufführungspraktischen Tipps möchten Sie gerne weitergeben?
Für die Veröffentlichung gibt es von mir immer ein Skript mit ausführlichen Aufführungshinweisen zu Kulissen, Requisiten, Kostümen und praktischen Tipps und Ideen. Dies ist hauptsächlich dafür gedacht, dass nicht jeder Aufführende das Rad neu erfinden muss, weil ich mir bereits ausführlich Gedanken gemacht habe. Aber es soll keine Handlungsanweisung sein – jeder kann nach seinen Ideen, Mitteln und Räumlichkeiten aufführen, wie er möchte. Nur vielleicht als kleiner Tipp: Eine gute Beschallung und gutes Licht machen einen riesengroßen Unterschied in der Wirkung des Stückes.
Verraten Sie uns, woran Sie derzeit arbeiten?
Gerne: Im Jahr 2026 erscheint nicht nur dieses Zirkusmusical, sondern noch ein weiteres, an dem die Arbeit schon weit fortgeschritten ist: Die Zeitdetektive – Kleopatra und der Biss der Kobra, nach einer Buchvorlage von Fabian Lenk. Das Stück spielt im alten Ägypten, wo Kleopatra und Octavian lebten. Drei junge Detektive aus der Gegenwart wollen herausfinden, wer damals Kleopatra ermordet hat. Außerdem arbeite ich an einer Sammlung mit Klavierstücken, die sich zwischen Improvisation und Komposition bewegen und einen leichten Einstieg ins Improvisieren bieten, sie heißt „Improtopia“.
Vielen Dank für das Interview!
Anne Riegler studierte Klavier, klassische Klavierimprovisation und Klavierpädagogik in Würzburg, Stuttgart, Sankt Petersburg und New York City. Sie konzertiert als Pianistin im In- und Ausland und ist an der Hochschule für Musik Würzburg als Dozentin für Klavier und Klavierdidaktik tätig. Anne Riegler komponiert Klavierwerke für sich selbst und ihre Klavierschüler*innen. Außerdem schreibt sie Kindermusicals, deren Texte sie ebenfalls selbst verfasst. Es ist ihr ein besonderes Anliegen, die Freude weiterzugeben, die sie als Kind bei der Teilnahme an vielen Musicalaufführungen selbst erlebt hat.
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