„Was ich gerne noch sagen wollte“
Ein paar Anregungen und ein Abschied
Fast 35 Jahre war er „die Stimme“ von Carus. Eberhard von Oppen saß am Verlagstelefon und beriet unzählige Anrufende rund um das Thema Chor. Zum Abschied stellt er noch einmal viele versteckte Glanzlichter im Carus-Programm vor, deren Entdeckung lohnt!
Etliche Monate sind es nun schon, dass ich nach fast 35 Carus-Jahren nicht mehr am Verlagstelefon sitze, um mit vielen Anrufenden über ihre Anliegen und Wünsche zu sprechen; über musikalische Programmgestaltung im Rahmen jeweiliger Möglichkeiten, über Bewährtes und Neues, über Bekanntes und weniger Bekanntes, über gelungene und auch mal misslungene Bemühungen um termingerechte Erfüllung von Noten-, Buch- oder CD-Wünschen.
Apropos Bekanntes und weniger Bekanntes: Im Laufe der Jahre erweiterte sich das Carus-Programm in ungeahntem Maß und großer Vielfalt, und immer wieder wurde mir bewusst, welche Schätze ich da selbst kennenlernen und (hoffentlich) weitervermitteln konnte und durfte; neben anerkannten Meisterwerken und erfolgreichen Glanzlichtern – um das so überstrapazierte „Highlight“ mal unverbraucht zu ersetzen – fand ich aber immer wieder auch Musik im Schatten, kaum beachtet, die mir aber gleichwohl interessant, wert- und reizvoll scheint und die ich daher gern mehr im Licht größerer Aufmerksamkeit sehen würde. Nicht immer umfangreiche, groß besetzte Werke (die gerade ohnehin weniger gefragt sein dürften), sondern eher kleinere Besonderheiten, von denen ich hier einmal einige herausgreifen und ein wenig würdigen möchte, wie sie es meiner Meinung nach verdienen.
Eberhard v. Oppen verabschiedete sich 2021 nach vielen Jahren im Kundenservice von Carus in den wohlverdienten Ruhestand.
Friedrich Theodor Fröhlich
Fünf Motetten
Carus 40.435
Da ist zum Beispiel eine Sammlung von fünf geistlichen A-cappella-Motetten von Friedrich Theodor Fröhlich (1803–1836) aus dem schweizerischen Kanton Aargau, der im kulturell anregenden Berlin z.T. von denselben Lehrern lernte wie der befreundete Felix Mendelssohn Bartholdy, dann jedoch in der heimatlichen ‚Provinz‘ ein mühsames und schließlich selbst beendetes Leben führen musste und dessen vielseitiges Vokal- und Instrumentalwerk kaum bekannt wurde. (Man kennt gerade mal seine zum Volkslied gewordene Eichendorff-Vertonung Wem Gott will rechte Gunst erweisen). Die fünf erwähnten, ebenso kunst- wie klangvollen Motetten sind sicher eine eingehende Beschäftigung wert.
Fanny Hensel (1805–1847) war als phänomenale Pianistin, als Dirigentin und Komponistin kaum weniger begabt als ihr jüngerer Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy, hatte aber als Frau, zumal aus einer besonders konventionsbewussten jüdisch-christlichen Familie, keine Chance auf eine berufliche Musiker-Laufbahn. Unter ihren über 400 (!), erst in unserer Zeit allmählich veröffentlichten Kompositionen – von ganz kleiner bis zu oratorischer Besetzung – gibt es ein wunderbares kleines Chorwerk, das sie 1829 auf Worte ihres künftigen Ehemanns, des Malers und Hobby-Poeten Wilhelm Hensel komponierte: Nachtreigen, auf ein zeittypisches Nacht-Gedicht, wirkungsvoll gesetzt im Wechsel für Frauen- und Männerchor, die sich schließlich in klangprächtiger Achtstimmigkeit zusammenfinden. Auch ganz ohne Hinweis auf das Gedenkjahr 2022 eine Bereicherung für jedes weltliche Chorprogramm!
Fanny Hensel
Nachtreigen
Carus 40.219/00
W. A. Mozart
Quis te comprehendat
Carus 51.361/00
In Peter Shaffers und Milos Formans Mozart-Film Amadeus von 1984 gibt es, ziemlich am Anfang, eine Schlüsselszene: Salieri hört, zunächst von fern, den Beginn des Adagio-Satzes aus Mozarts Gran Partita für 13 Blasinstrumente, schaut später auch in Mozarts Partitur: Über einem sanft-beständigen, rhythmisch prägnanten Grund schwebt, im Wechsel zwischen Oboe, Klarinette und Bassetthorn, eine weite, anrührend zarte Melodielinie – eine Musik, in der Salieri hier schlagartig Mozarts Genie (und seine eigene Mittelmäßigkeit) zu Bewusstsein kommt. Diesen wundervollen Satz hat um 1820 ein geschickter Anonymus einfühlsam in ein kleines geistliches Werk verwandelt, in dem die Begleitfiguren von Streichern und zwei Hörnern übernommen werden, die Melodie von Solo-Violine und Orgel; innerhalb des harmonischen Rahmens tritt ein homophoner geistlicher Chorsatz dazu, auf einen lateinischen, liturgisch nicht festgelegten lobpreisenden Text Quis te comprehendat.
Eine interessante, allen Neugierigen zur Entdeckung empfohlene Parallele zur recht erfolgreichen, im Beethoven-Jahr 2020 bei Carus erschienenen Bearbeitung des Kopfsatzes der cis-moll-(„Mondschein-“) Klaviersonate als „Kyrie“ für Chor und Klavier. Vokal-Bearbeitungen dieser Art waren bei den Zeitgenossen sehr populär und haben den Reiz zugleich von Überraschung und Wiedererkennen.
Ludwig v. Beethoven
Kyrie nach dem Adagio der Mondscheinsonate
Carus 28.009
Mozart und Mannheim
Carus 83.141
Johann Christian Bach-Akademie Köln
St. Thomas-Chorschule Wettenhausen
camerata vocale Günzburg
Jürgen Rettenmaier
Noch einmal Mozart – und noch einmal eine Bearbeitung: Der Komponist selbst äußerte in einem Brief sein Bedauern, dass die Schauspielmusik zu seinem erfolglosen Heroischen Drama Thamos, König in Ägypten KV 345 wieder verschwinden würde. Daher war es sicher in seinem Sinne, dass schon zu seinen Lebzeiten zumindest die drei Chorsätze des Thamos mit geistlichen Texten versehen, also parodiert wurden und so zumindest als eigenständige Chorstücke eine Zukunft finden zu konnten. Tatsächlich lohnt eine Aufführung der für Chor wie Orchester wirkungsvollen und – ihrer Herkunft entsprechend – teilweise dramatischen Sätze, die bei Carus als Drei geistliche Hymnen (KV Anh.121-123) erschienen sind.
Ein großer Mozart-Verehrer war Louis Spohr. Geboren in Wilhelm Friedemann Bachs Todesjahr 1784, gestorben 1859 im Entstehungsjahr von Wagners Tristan – was für eine entwicklungsreiche Zeitspanne deutet das an! Zu Lebzeiten war Spohr berühmt, als bedeutendster Geiger neben Paganini, als engagierter Lehrer zahlloser Violinschüler, als Dirigent und Orchestererzieher, als Organisator, als Verfasser einer Violinschule und sehr lesenswerter Erinnerungen und natürlich als Komponist. Um als solcher auch berühmt zu bleiben, hatte er allerdings vielleicht zu viele geniale Zeitgenossen. Dabei ist z.B. sein theologisch interessantes und für gute Laienchöre ideales Oratorium Die letzten Dinge gewissermaßen ein Bindeglied zwischen Haydns beiden Oratorien und Mendelssohns Paulus. Inmitten seiner umfangreichen Instrumentalmusik kam der vielseitige Kasseler Hofkapellmeister und Chorleiter immer wieder auf die Vokalmusik zurück; sein weiter geistiger Horizont und die Beschäftigung mit alten Meistern führten ihn zu einer doppelchörigen Messe und drei klangvollen Psalm-Vertonungen, interessanterweise auf Textfassungen von Moses Mendelssohn.
Louis Spohr
Die letzten Dinge
Carus 23.003
Joseph Haydn
Die Jahreszeiten
Carus 51.980
Apropos Haydns Oratorien: Die Schöpfung und Die Jahreszeiten, beide in kritischen Neuausgaben bei Carus verfügbar, brauchen sicher keine zusätzliche Empfehlung. Der Zustand und die bedrohliche ökologische Entwicklung unseres Planeten brauchen diese Werke jedoch mehr denn je – als klingende Anregungen, als begeisternde, motivierende, immer wieder neue Nahrung für Kopf, Herz und Seele.
Eine scheinbar schlichte, spielerische, mitunter aber höchst anspruchsvolle und von den größten Könnern gepflegte Kunst ist die des Kontrapunkts in strenger Nachahmung, also des Kanons. Auch Mozart und die Haydn-Brüder Joseph und Michael hatten großes Vergnügen an der Erfindung kunstvoller, für alle Stimmen gleicher Tonfolgen für geselligen Gesang. Bei Carus erschien eine Sammlung von 43 Vokalkanons dieser drei Meister – 3,4,5,8 oder gar 12stimmig, von acht bis 65 (!) Takten pro Durchgang, mal mit erbaulichen, mal mit etwas anzüglichen Texten. Reizvolle und keineswegs immer einfache Chor-Aufgaben…
Chorbuch Mozart / Haydn VII (Kanonsammlung)
Carus 2.117
Hugo Schuncke
Concerto per Oboe ed Orchestra in a
Carus 40.576
Kennen Sie Familie Schuncke? Nach den Bachs waren die Schunckes wohl eine der begabungsreichsten Musikerfamilien (inclusive der Frauen, die zumindest pädagogisch wirkten). Ludwig Schuncke war ein von Clara und Robert Schumann sehr geschätzter Hornist; bei Carus erschien sein Grand Duo für Horn und Klavier. Ludwigs Bruder Hugo (1823–1909) wurde in Stuttgart geboren und ausgebildet und gehörte ganze 54 Jahre lang als Geiger der dortigen königlichen Hofkapelle an. Unter seinen Kompositionen findet sich – eine echte Rarität im 19. Jahrhundert – ein hochinteressantes Oboenkonzert in a-moll, mit einem seelenvollen Mittelsatz und einem originellen Bolero-Finale. Dieser instrumentalen Kostbarkeit steht im Carus-Katalog auch eine vokale gegenüber, eine expressive Vaterunser-Vertonung für fünfstimmigen A cappella-Chor. Auch hier also sind lohnende Entdeckungen möglich.
Was man von Antonin Dvořák neben D-Dur-Messe, Stabat Mater und Te Deum bei Carus vielleicht eher nicht vermutet – eine ganze Reihe von Stücken für Violine und Klavier: Der große Sinfoniker Dvořák (1841–1904), gelernter Geiger und Bratscher, komponierte mit Freude und zugleich großem Ernst sehr bewusst auch Gelegenheitsstücke in kleiner Besetzung und kleiner Form; teilweise sind es eigene Bearbeitungen, durchweg liebenswerte Musik, für gute Laienmusiker durchaus spielbar. Und wiederum auch eine vokale Anregung: Von den zehn in Amerika entstandenen Biblischen Liedern op. 99 hat der Dvořák-Kenner Jarmil Burghauser sieben sehr reizvoll für Chor und kleines Orchester arrangiert.
Antonín Dvořák
An den Wassern Babylons
Carus 70.071
Weitere Biblische Lieder u.a.:
- Herr, mein Gott, erhör gnädig mein Fleh’n (Carus 70.072)
- Gott, mein Hirte, hütet mich (Carus 70.073)
- Gott, ich sing‘ Dir neue Lieder (Carus 70.074)
Karl-Heinz Weber
Freischütz. Bearbeitung für zwei Flöten
Carus 17.097
Am 18. Juni 1821, also vor gut 200 Jahren, ging im Berliner Schauspielhaus Der Freischütz erstmals über die Opernbühne und von hier in die Welt. Ohne CD, Radio oder TV verbreitete sich damaliger Opern-Ruhm auch über instrumentale, durchaus kunstvolle Bearbeitungen, üblicherweise als achtstimmige Harmoniemusik für Bläser, doch auch mal in reizvoller, maximaler Reduktion auf nur zwei Melodieinstrumente: So setzte um 1833 ein anonymer Bearbeiter sieben Stücke aus dem Freischütz für zwei Querflöten (oder auch Violinen) – eine auflockernde Bereicherung für mancherlei Gelegenheit.
Musik aus dem Freischütz (sowie anderen bekannten Vorlagen) fand auch Eingang in die Instrumentalmusik eines Weberschen Altersgenossen, bei dem wir oft ausschließlich an Chormusik denken: Friedrich Silcher (1789-1860) verstand sich im Sinne von Heinrich Pestalozzi (dem er auch persönlich begegnete) als Volkserzieher, mit den Mitteln der Musik. Neben seiner umfassenden Beschäftigung mit dem Volkslied gibt es auch ein (überschaubareres) instrumentales Werk, das bei Carus in etlichen Ausgaben greifbar ist – etwa je ein Heft mit sämtlichen, eher leichten Klavier- und Orgelstücken, Divertissements und Variationen für Flöte und Klavier sowie zwei bemerkenswerte kleine Orchester-Ouvertüren. Auch mancherlei vokale Silcher-Rarität bietet Carus an, (neben zahlreichen Liedsätzen), z.B. einen Festchor, eine Männerchor-Szene Der Tod des Aias oder einen streicherbegleiteten Chor Ins stille Land, zudem eine CD mit einem großen Silcher-Querschnitt und eine mit 36 Sololiedern.
Friedrich Silcher
Der Tod des Aias
Carus 40.810
FELIX
Felix Mendelssohn Bartholdy zum 200. Geburtstag
Carus 24.130
Mit welchen Empfindungen begegnet man einem alten Blatt Papier, wenn man weiß, dass ein großer, verehrter Komponist eben dieses Blatt in seinen Händen hatte, als er darauf seine gerade entstehende Musik notierte? Gelegenheit zu dieser seltenen, bewegenden Erfahrung hatte ich im Februar 2009 in Berlin, als die dortige Staatsbibliothek den 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy zum Anlass nahm, einen großen Teil der Schätze ihres Mendelssohn-Archivs in einer Ausstellung mit dem schlichten Titel FELIX zu zeigen – übrigens nicht nur musikalische, sondern auch graphische Kostbarkeiten von der Hand des begabten Zeichners Mendelssohn. Carus hat dazu den reich bebilderten Katalog beigesteuert, mit einer Fülle von Informationen zu Leben und Nachlass – eine wertvolle Ergänzung zu Larry Todds umfassender Biographie. Den allein schon ästhetischen Genuss von Mendelssohns eleganter Wort- und Notenschrift – viele seiner Briefe fügen sehr anschaulich (!) Notenbeispiele ein – bietet in besonderer Weise auch die bibliophile Faksimile-Ausgabe zur bekannten Psalm-Motette Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, die er dem preußischen König, nach einem misslungenen Attentatsversuch, mit einem besonders schmucken Widmungsbrief zueignete. Es erscheint immer wieder unfassbar, in welcher Konzentration und Intensität dieser Mensch und Künstler, der keine vierzig Jahre alt wurde, gelebt und gearbeitet hat. Unbegreiflich, in welchem Ausmaß er (der übrigens als 12jähriger bei jener denkwürdigen Freischütz-Premiere – vermutlich tief beeindruckt – mit seinen Eltern im Publikum gesessen hatte) als Pianist, Dirigent, Lehrer, Organisator, als Familienvater, Reisender, Briefschreiber und natürlich Komponist gewirkt und wieviel er uns hinterlassen hat!
Max Regers geistliche Chormusik, etwa seine wunderbaren A-cappella-Motetten op.138 sind zu Recht bekannt und öfter zu hören – seltener dagegen vier zwischen 1903 und 1906 entstandene Choral-Kantaten zu bestimmten Festen und Themen des Kirchenjahres. Reger, der sie selbst „Choralbearbeitungen“ nannte, wollte mit ihnen „in technisch leichtester Ausführung … der evangelischen Kirchenmusik Werke geben, welche selbst der kleinste Ort zur Aufführung bringen kann.“ Tatsächlich sah er nur wenige Solisten, Chor (einmal Kinderchor), einstimmigen Gemeindegesang, wenige Instrumente und Orgel vor. In kreativer Vielfalt und Abwechslung, in leicht fasslicher, oft chromatisch bestimmter Klanggestalt folgen einander jeweils bis zu fünfzehn Choralstrophen wie in ruhiger, klingender Meditation, bei der insbesondere die solistischen Instrumente (Violine, Viola, Oboe) die Choralmelodie meist filigran umspielen oder auch aufnehmen und variieren. Auch der prachtvoll mit Jugendstil-Titelblättern illustrierte Band Blick in die Lieder mit einer wohldurchdachten Auswahl von Regers zahlreichen Klavierliedern verdient entschieden eine besondere Aufmerksamkeit (ebenso auch eine zugehörige CD).
Max Reger
Blick in die Lieder
Carus 40.777
Franz Schubert
Totus in corde langueo
Carus 70.045
Wie bei Mendelssohn lässt auch bei Franz Schubert, der sogar mit nur 31 Jahren starb, die Fülle seiner kompositorischen Hinterlassenschaft immer wieder nur staunen: Allein sein geistliches Werk, bei Carus nahezu vollständig erschienen, enthält neben den sechs lateinischen Messen und der recht populären Deutschen Messe eine Vielzahl wenig bekannter kleinerer Werke für Solo-, Chor- oder Ensemble-Gesang, teils lateinisch-liturgisch, teils in freier, deutschsprachiger Dichtung. Beispielsweise eine wunderbar gesangliche Sopran-Arie Totus in corde langueo mit konzertanter Klarinette oder eine trostreiche Vertonung von Psalm 23 für Frauen- oder gemischten Chor (in Moses Mendelssohns Textfassung, wie bei Spohr), ein harmonisch interessanter A-Cappella-Chor Christ ist erstanden zum Ostermorgen aus Goethes „Faust“ oder ein Gebet nach einem Text von Friedrich de la Motte Fouqué „Du Urquell aller Güte“. Oder zwei ausdrucksstarke Kompositionen aus Schuberts letzten Lebenswochen, ein Offertorium Intende voci für Solotenor, Chor und Orchester und ein Tantum ergo in Es-Dur. (CV 70.046, 70.052) Gut zu realisierende Musik von immer wieder überraschender Vielfalt, zu lohnender Entdeckung!
Erleben von Musik in ihrem Umfeld hat natürlich zuerst mit Zuhören oder eigenem Musizieren zu tun, dann aber – ebenso natürlich – auch mit Lesen von Texten über Musik und schließlich auch ganz wesentlich mit dem Betrachten von auf Musik bezogenen Abbildungen – seien es Gemälde oder Fotos, Personen-Portraits oder Gruppen-Szenen, Faksimile-Wiedergaben von Wort- und Notenschrift, Ansichten von Gebäuden, Innenräumen oder Gegenständen. Und für solche Abbildungen, die selbstverständlich auch Bücher, CD-Booklets oder Vorworte von Notenausgaben unverzichtbar bereichern, hält Carus ein ganz spezielles Produkt-Feld bereit: Eine große Anzahl von Komponisten-Portraits in Poster-Größe und dazu eine in Zahl und Motiv-Vielfalt noch wesentlich umfangreichere Palette von farbigen Postkarten, inzwischen nahezu 200. Welche Chormitglieder würden sich nach einem Chorkonzert mit Mendelssohns Engel-Motette nicht über eine Postkarte mit der bereits erwähnten bild-schönen (!) Notenhandschrift freuen? Wer würde nicht gern eine briefliche Gratulation mit einer Abbildung des prachtvollen, monogramm-geschmückten Glas-Pokals der Familie Bach bekräftigen, seinem Kind eines von Frank Walkas wunderschönen Wiegenlieder-Bildern als Gute-Nacht-Gruß schenken oder einen Blick auf Clara Schumanns Hammerflügel von 1827 werfen? (Viele Karten sind auch innerhalb von 10- oder 12-teiligen thematischen Serien erhältlich, jeweils in einer kleinen hübschen Mappe, ergänzt durch fundierte, mehrsprachige Erläuterungen.)
Felix Mendelssohn Bartholdy
Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir
Notenhandschrift im Faksimile
Carus 40.330/10
Brief an Abbé Joseph Bullinger über den Tod der Mutter
Carus 40.327/80
Ein ganz besonderes, sehr bewegendes Dokument bildet hier für mich eine Doppelkarte mit Faksimile und Teil-Übertragung eines Briefes von 1778: Wolfgang Amadé Mozart, auf weitgehend erfolgloser Auftrags- und Stellungssuche in Paris, verliert dort auch noch seine ihn begleitende Mutter, bittet aber zunächst einen befreundeten Pfarrer in Salzburg, den Vater Leopold vorsichtig auf die Nachricht vorzubereiten, während er selbst ihm gerade erst einmal nur eine Erkrankung der – in Wahrheit bereits toten – Mutter mitgeteilt hat.
Eine auch für mich bei allen ihren Nachfolgern ganz einzigartige Carus-Ausgabe soll immerhin kurze Erwähnung finden: Um Kinder mit Liedern aufwachsen zu lassen und sie ihnen daher buchstäblich gleich in die Wiege mitzugeben, erschienen 2010 die Wiegenlieder – in idealer Verbindung mit Frank Walkas so wunderbar anregend zwischen Klischee und Provokation hindurchfindenden Bildern (die, wie erwähnt, teilweise auch als separate Postkarten erhältlich sind). Was für ein Geschenk für jedes neugeborene Kind – und seine Eltern! Sehr bewährt hat sich auch die dem Buch beigefügte instrumentale CD – zunächst gedacht zur Mitsing-Ermunterung weniger sangesgeübter Eltern, doch ist es auch etwas Wunderbares, gerade in bewegten Zeiten einfach mal Christine Busch auf ihrer Violine singen zu lassen, beim Zuhören vielleicht, bewusst oder unbewusst, die Textworte mitzudenken und dabei Geborgenheit zu spüren.
LIEDERPROJEKT
Wiegenlieder
Carus 2.400
Makh tsu di Eygelekh. Jiddische Lieder
Carus 83.380
Helene Scheiderman; Götz Payer
Und schließlich möchte ich noch, neben der gerade erwähnten instrumentalen Lied-CD, zwei weitere Lieblings-CDs nennen, die ich ebenso gern höre wie verschenke:
Die Sopranistin Helene Schneiderman hat, vor dem Hintergrund ihrer eigenen, wahrhaft bewegten und bewegenden Familiengeschichte, jiddische Lieder aufgenommen, zusammen mit ihrem einfühlsamen Arrangeur und Klavierpartner Götz Payer – vom titelgebenden Wiegenlied Makh tsu di Eygelekh (eine ganz frühe Kindheitserinnerung der Sängerin an ihre Eltern) bis zum Liebeslied Reyzele und zu vier besonders herzerwärmenden Ergänzungen…
Clytus Gottwald verwandelt in seiner scheinbar unendlichen Neugier und Kreativität seit Jahren unterschiedlichste Partituren vokal-instrumentaler Musik in vielstimmigen, reinen Chorklang. Besondere Glanzlichter dieser hohen Kunst sind für mich seine Gustav-Mahler-Bearbeitungen, die das SWR-Vokalensemble aufgenommen hat, vor allem Ich bin der Welt abhanden gekommen nach Friedrich Rückert, die beiden Wunderhorn-Lieder Wo die schönen Trompeten blasen und Urlicht sowie das berühmte, ausgedehnte Orchester-Adagietto aus der 5. Symphonie, das Gottwald in unendlich strömendem, sechzehnstimmigem Chorklang wunderbar passend verbindet mit den Textworten von Eichendorffs Gedicht Im Abendrot.
Clytus Gottwald. Alma und Gustav Mahler
Transkriptionen für Chor a cappella
Carus 83.370
SWR Vokalensemble Stuttgart; Marcus Creed
Sehr subjektiv und persönlich sind diese Einzelblicke auf einige Carus-Ausgaben, deren Beachtung mir ebenso verdient wie lohnend erscheint (vielleicht auch als Spur zu weiterer Repertoire-Erkundung?). Und sehr persönlich ist auch ein Dank, den ich abschließend noch anfügen will – Dank für viele Jahre telefonischer und oft auch persönlicher Kunden-Begegnungen – für Neugier und Interesse, Freundlichkeit und Verständnis, Offenheit und Geduld, für Kenntnisreichtum und so manchen wichtigen, klugen, interessanten und anregenden Hinweis. Bleiben Sie auch in schwierigen, bedrückenden Zeiten nach Möglichkeit zuversichtlich und guter Dinge, und leben Sie wohl!
Eberhard v. Oppen
Lieber Herr von Oppen
1988 (!) sind wir uns im Verlag persönlich begegnet. Viele interessante Telefongespräche haben wir bis zu meiner Pensionierung 2008 miteinander geführt. Für Ihre vielen Anregungen möchte ich Ihnen von Herzen danken. Ich wünsche Ihnen zu Ihrem neuen Lebensabschnitt alles Gute und viel Freude.
In herzlicher Dankbarkeit grüsst Sie Christoph Wartenweiler, Frauenfeld / Schweiz.