Die verborgene Schönheit von Pietro Mascagnis Messa di Gloria
Interview mit Andreas Gies
Mascagnis Messa di Gloria ist von zeitloser musikalischer Schönheit und erscheint bei Carus in einer modernen kritischen Edition. Herausgeber Andreas Gies führt in die Welt dieses oft übersehenen Meisterwerks ein und enthüllt, warum es unsere volle Aufmerksamkeit verdient. Entdecken Sie die faszinierenden Parallelen zur Messa di Gloria von Giacomo Puccini und die feinsinnigen Kompositionseigenschaften, die aus der besonderen Uraufführungssituation erwachsen sind.
Pietro Mascagni ist in erster Linie als Opernkomponist bekannt, sein Ruhm basiert auf dem überaus erfolgreichen Einakter „Cavalleria rusticana“. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit seiner Messa di Gloria zu beschäftigen?
Pietro Mascagni hat mit seinem unvergänglichen Werk „Cavalleria rusticana“ die Herzen vieler Opernliebhaber*innen erobert. Doch sein Talent erstreckt sich weit über das Opernhaus hinaus, wie seine bewegende Messa di Gloria eindrucksvoll beweist. Dabei lohnt es aus mehreren Gründen sich mit diesem in Italien sehr bekannten und beliebten Werk zu beschäftigen. Ich persönlich fand meinen ersten Zugang zur Messe durch die CD-Aufnahme unter der Leitung von Claudio Scimone und I Solisti Veneti. Trotz ihrer Bekanntheit wartete Mascagnis Werk zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch auf eine angemessene editorische Behandlung. Mit der modernen Carus-Ausgabe wird die Messa nun endlich in einem modernen Notensatz mit kritischem Kommentar und mit einem neuen Klavierauszug präsentiert.
Mascagni war gut mit Giacomo Puccini befreundet. Gibt es Parallelen zu Puccinis sogenannter „Messa di Gloria“, die ebenfalls ein Jugendwerk ist?
Im Zusammenhang mit dem Puccini-Jubiläumsjahr 2024 entdeckte ich faszinierende Parallelen zwischen Puccinis und Mascagnis Messa di Gloria. Beide Messkompositionen entstanden fast im gleichen Jugendalter, wurden zu Lebzeiten der Komponisten nur ein oder zwei Mal aufgeführt und erlangten erst posthum ihre Wertschätzung. Zudem haben sowohl Mascagni als auch Puccini Motive verwendet, die in ihren Opern wiederkehren. In Mascagnis Messe gibt es Themen, die er im gleichen Jahr in seiner Oper Cavalleria rusticana wiederverwendet. Puccini integriert viele Motive aus seiner Messa di Gloria in seine Oper Manon Lescaut.
Was war die interessanteste Entdeckung, die Sie bei der Beschäftigung mit dem Werk gemacht haben?
Bei der Beschäftigung mit den Quellen gab es für mich viele interessante Entdeckungen: So hat Mascagni z. B. anstatt der klassischen Besetzung von zwei Violinstimmen (Violine 1 und Violine 2) drei Systeme für die Violinen benutzt. Diese Aufteilung der Streicher ist auf die spezielle Orchestersituation der Uraufführung zurückzuführen: Es handelte sich um ein Schülerorchester einer Musikschule, bei dem nur ein paar Profimusiker ausgeholfen haben. Mascagni war zwar auch noch recht jung, aber als Komponist und Musiker gar nicht mehr so unerfahren. Zu dieser Zeit hatte er bereits die große Oper Gugliemo Ratcliff (Libretto von Andrea Maffei nach der Tragödie von Heinrich Heine) komponiert und konnte durch seine instrumentalen Erfahrungen die jungen Musiker instruieren.
Nach eigenen Worten des Komponisten ist die Messe „sehr leicht auszuführen, aber gleichzeitig nicht ohne einen gewissen Effekt.” Was meint Mascagni damit?
Mascagnis Ziel war es, dass die Messe sehr leicht auszuführen ist, aber gleichzeitig einen gewissen klanglichen und melodischen Effekt erzielt. Es gibt keine großen Schwierigkeiten für die einzelnen Instrumente und dennoch wusste Mascagni genau, wie die großen musikalischen Effekte hervorzubringen sind.
Für welche Chöre ist die Messe Ihrer Meinung nach heute besonders geeignet?
Das Werk ist für eine Vielzahl von Chören attraktiv und richtet sich sowohl an Profi- als auch an weniger professionelle Chöre. Die Messe ist nicht nur leicht auszuführen, sondern erzeugt auch einen beeindruckenden Effekt. Sie ist für eine normale Männerstimmenkombination des Chores (Tenor und Bass) geschrieben, aber die Frauenstimmen sind in „ragazzi“ (Kinder) und Alt unterteilt. Dies hat zur Folge, dass die Sopranstimme nicht sehr hoch gesetzt und das Werk für die Frauenstimmen insgesamt nicht schwierig zu singen ist.
Was ist Ihre persönliche Lieblingsstelle im Werk?
Es gibt viele beeindruckende Passagen in Mascagnis Messa di Gloria, aber eine meiner Lieblingsstellen ist das „Qui tollis“, das im Tenorsolo den typischen lyrischen Zugang von Mascagnis Kompositionsstil einfängt.
Bei einer Aufführung 1891 in Orvieto wurde die Messa di Gloria mit großem Erfolg aufgeführt, zusammen mit dem inzwischen berühmt gewordenen Intermezzo aus der Cavalleria. Mit welchem weiteren Werk könnte die circa einstündige Messe bei einer Konzertaufführung kombiniert werden?
Die Messe kann gut mit anderen Werken Mascagnis kombiniert werden, z. B. mit der wunderschönen „Barcarola“ aus seiner Oper Silvano oder der leichten und neoklassizistischen Symphonie aus Le Maschere, einer weiteren Oper von Mascagni mit ähnlicher Besetzung. Es gibt zudem das wundervolle Stück Visione lirica (Lyrische Vision), das Mascagni erst im späten Alter geschrieben hat und in kleinerer Besetzung eine Balance zum jüngeren Werk darstellen kann.
Pietro Mascagni
Messa di Gloria
Carus 27.904/00
Giacomo Puccini
Messa a 4 voci (Messa di Gloria)
Carus 56.001/00
Andreas Gies ist ein italienisch-deutscher Dirigent, Komponist, Flötist, Sänger (Bariton) und Musikwissenschaftler. Er ist Doktorand der Musikwissenschaft an der UAB in Barcelona mit einer Dissertation über die Parisina von P. Mascagni und gründete ein Verlagsprojekt (IRIS) zur Wiederentdeckung italienischer Werke zwischen 1800 und 1900.
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