Fünfhundert Jahre – zeitlose Schönheit
Giovanni Pierluigi da Palestrinas Missa Papae Marcelli
2025 feiern wir 500 Jahre Giovanni Pierluigi da Palestrina! Adrian Büttemeier, Domkantor in Berlin und ein echter Palestrina-Fan, hat einige Programmvorschläge für Ihren Chor zusammengestellt.
Für mich ist Palestrinas Musik wie eine Klangkur für Sinne und Seele. Egal ob ich singe, spiele oder dirigiere: Ein paar saubere Akkorde oder eine intensiv gestaltete Linie berühren mich, reißen mich mit und machen mich auf ihre ganz eigene Art glücklich. Immer wieder beeindruckt mich die geniale Verbindung von klanglicher Schönheit, spiritueller Tiefe und textlich-musikalischer Verständlichkeit in seinen Werken. Einer der größten Komponisten der westlichen Musiktradition hat seit fünf Jahrhunderten nichts von seiner konzentrierten und klangvollen Kraft verloren – Gründe genug, dessen 500-jähriges Jubiläum kräftig zu feiern.
Insbesondere die Missa Papae Marcelli gilt als eines der bekanntesten und bedeutendsten Werke der Renaissancezeit. Und obwohl sie zwar wahrscheinlich nicht die Kirchenmusik „gerettet“ hat, kann diese Messe durchaus beispielhaft als Höhepunkt der römischen Sakralmusik des 16. Jahrhunderts angesehen werden. Palestrinas Einfluss auf die Kirchenmusik reicht dabei weit über seine Lebenszeit hinaus: Johann Sebastian Bach studierte seine Werke intensiv (Carus 35.501 und Carus 35.301), und auch Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Anton Bruckner sahen in ihm ein Vorbild für ihr eigenes Schaffen.
In einer Zeit, in der die Rolle der liturgischen Musik neu definiert werden sollte, schuf Palestrina mit dieser Messe ein Werk, das die Ansprüche von Theologie und Kirchenmusik zusammenbringt. Krisenhaft war diese Zeit unter dem Einfluss der Reformation und der daraus resultierenden umfassenden Neuordnung des kirchlichen Lebens. In meiner Arbeit für die „Servicestelle Chor & Zukunft“ des Chorverbandes in der EKD habe ich häufig das Gefühl, dass die Diskussionen des Konzils von Trient (1545–1563) zur Bedeutung der Kirchenmusik und ihrer Rolle in der Kirche ungebrochen aktuell sind. Das gilt interessanterweise im Besonderen für die Arbeit vor Ort auf der lokal-regionalen Ebene und gar nicht unbedingt auf überregionalen Entscheidungsebenen.
Eine unserer schönsten Aufgaben ist, diesen irdischen Diskussionen nach Palestrinas Vorbild immer wieder himmlische Musik entgegenzusetzen. Allerbestens eignet sich dafür die Missa Papae Marcelli, die ja der Legende nach sogar die aufgebrachten Kardinäle des Tridentinischen Konzils berühren und bewegen konnte. Mit ihren etwa fünfundzwanzig Minuten Aufführungsdauer kann die Messe wunderbar an ihrem vornehmsten Platz im Gottesdienst erklingen. Alternativ bietet Carus alle Messteile auch als Einzelausgaben an. So können beispielsweise auch nur Kyrie und Gloria mit etwa zehn Minuten Aufführungsdauer musiziert werden. Liturgisch interessant finde ich, nicht nur in diesem Kontext, entfaltete Kyrie-Litaneien, in welchen kurze Gebete die drei Kyrie-Teile unterbrechen.
Für richtig musikalische Gottesdienste gibt es wahnsinnig schöne Kombinationsmöglichkeiten mit Musik von Palestrinas Zeitgenossen wie Felice Anerio, Giovanni Gabrieli, Carlo Gesualdo oder Claudio Monteverdi. Je nach kirchenjahreszeitlicher Prägung und persönlichen Vorlieben bietet der Carus-Katalog zahlreiche passende Motetten aller vier Komponisten an. Besonders schön finde ich persönlich die beiden Cantate Domino-Vertonungen von Gabrieli (aus „Symphoniae Sacrae I“ 1597, Carus 1.521) und Monteverdi (aus den Bianchi-Drucken von 1620, Carus 3.315/50). Diese lassen sich reizend gegenüberstellen und gut mit der gesamten oder auch gekürzten Palestrina-Messe kombinieren.
Alternativ gibt es noch zwei weitere Jubilare, bei denen gut passende Musik für den Gottesdienst zu finden ist: Adam Gumpelzhaimer (400. Todestag) und Andreas Hammerschmidt (350. Todestag). Die Musikalischen bzw. Fest- und Zeit-Andachten Hammerschmidts eignen sich wegen der wie bei Palestrina sechsstimmigen Besetzung aufführungspraktisch besonders gut. Wer übrigens vor der sechsstimmigen SATTBB-Besetzung der Missa Papae Marcelli zurückschreckt, kann den ersten Tenor natürlich ebenfalls mit tiefen Altstimmen besetzen. Eine empfehlenswerte Sammlung bei Carus sind auch die Zehn Motetten Andreas Hammerschmidts in ganz unterschiedlichen Besetzungen mit und ohne Instrumente (Carus 4.006). Daneben gibt es aber ebenso zahlreiche Einzelausgaben mit vierstimmigen Alternativen, Motetten mit und ohne Continuobegleitung sowie ggf. weiteren Instrumenten.
Neben dem Gottesdienst gestalte ich auch Konzertprogramme sehr gerne ausgehend von einer Messkomposition. Diese stelle ich dabei entweder ins Zentrum und ordne die anderen Werke darum herum; oder ich breche die Messe auf und setze passende oder eben gerade kontrastierende Werke zwischen die einzelnen Messteile. Interessant finde ich in Konzertprogrammen außerdem, zwei unterschiedliche Messkompositionen einander gegenüberzustellen oder miteinander zu verflechten. Hier bietet sich beispielsweise Johann Michael Haydns (1737–1806) Missa Sanctae Crucis MH 56 von 1762 oder Franz Liszts (1811–1886) Missa choralis S 10 von 1865 an (Carus 50.312 und Carus 40.647).
Auch auf zeitgenössische Jubilare könnte Palestrina treffen: Arvo Pärt feiert 2025 seinen 90. Geburtstag und dessen Berliner Messe (1990) für Chor und Streichorchester oder Orgel und seine Orgelsolomesse annum per annum (1980) ergäben umwoben von der Missa Papae Marcelli ein äußerst interessantes einstündiges Konzertprogramm. Alternativ jährt sich Knut Nystedts Geburtstag zum 110. Mal und mit dessen Missa brevis op. 102 (Carus 27.054) von 1985 ließen sich beispielsweise noch weitere skandinavische Chorwerke in das Programm integrieren.
Ähnliche Auseinandersetzungen wie Palestrina beschäftigten Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901), als sich die Cäcilianisten mit Stilkopien ausgerechnet auf die revolutionär intendierte Musik Palestrinas zurückbesinnen wollten. Wie Rheinberger Palestrinas Erbe mit den harmonischen und klanglichen Mitteln seiner Zeit verbindet, könnte in einem Konzertprogramm mit der Missa Papae Marcelli und der Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis in F op. 117 von 1880 oder der Missa St. Crucis in G op. 151 von 1882 hörbar werden (Carus 50.117 und Carus 50.151). Die Rheinberger-Gesamtausgabe bei Carus bietet vielfältige Möglichkeiten zur weiteren Ergänzung des Konzertprogrammes.
Schließlich fällt mir noch ein, einzelne Messteile zum Thema eines gesamten Konzertprogrammes zu machen: Wie wäre es mit einem Kyrie-Konzert, das verschiedene Kyrie-Vertonungen mit weiteren Werken zum Bitten (z. B. um Frieden, Klimaschutz oder Gerechtigkeit) kombiniert? Oder aber einem Gloria-Konzert mit verschiedenen Gloria-Vertonungen und allem, was mit „Cantate“, „Jubilate“ oder „Laudate“ beginnt? Ein mögliches Beispielprogramm habe ich hier entworfen und freue mich, wenn es so oder so ähnlich als Anstoß dienen kann. In allen Fällen ist es für jeden Chor gewinnbringend, die sanglich geführten Linien und klangschön gesetzten Akkorde Palestrinas zu erarbeiten. Immer wieder habe ich erlebt, wie andere Stücke in Konzertprogrammen davon profitieren, parallel etwas von Palestrina gesungen zu haben.
So oder so sind auch im Palestrina-Jubiläumsjahr der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Die Missa Papae Marcelli kann dabei ein wunderbarer Ausgangspunkt für liturgische und konzertante Formate ganz unterschiedlicher Art sein.
Jauchzet, singet, lobet!
Vorschlag für ein Gloria-Konzert
Andreas Hammerschmidt (1611–1675)
Jauchzet dem Herrn, alle Welt aus Musikalische Andachten V (3 min)
Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525–1594)
Gloria aus der Missa Papae Marcelli (4 min)
Andreas Hammerschmidt (1611–1675)
Singet dem Herrn ein neues Lied aus Musikalische Andachten I (3 min)
Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525–1594)
Gloria aus Missa Aeterna Christi munera (3 min)
Claudio Monteverdi (1567–1643)
Cantate Domino SV 293 aus Libro primo de Motetti (3 min)
Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525–1594)
Gloria aus Missa brevis (3 min)
Giovanni Gabrieli (1554–1612)
Cantate Domino aus Symphoniae Sacrae I (3 min)
Johann Michael Haydn (1737–1806)
Gloria aus Missa Sanctae Crucis MH 56 (3 min)
Andreas Hammerschmidt (1611–1675)
Freude, Freude, große Freude aus Musikalische Andachten V (6 min)
Franz Liszt (1811–1886)
Gloria aus Missa choralis S 10 (5 min)
Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901)
Preis und Anbetung WoO 24 (2 min)
Gloria aus Missa St. Crucis in G op. 151 (3 min)
Laudate Dominum aus Vier Motetten op. 133, 3 (2 min)
Gloria aus Missa brevis in F op. 117 (3 min)
Frohlocket, ihr Gerechten aus Fünf Motetten op. 40,5 (2 min)
Arvo Pärt (* 1935)
Gloria aus Missa syllabica (1977) (3 min)
Knut Nystedt (1915–2014)
Laudate (1990) (3 min)
Gloria aus Missa brevis op. 102 (1984) (2 min)
Sing and rejoice (1983) (4 min)
als Zugabe:
Knut Nystedt (1915–2014)
Song of Praise (1974) (3 min)
Adrian Büttemeier ist Domkantor in Berlin. Nebenamtlich coacht er Chöre und Chorleitende für die „Servicestelle Chor & Zukunft“ des Chorverbandes in der EKD und verantwortet dort das digitale Workshopangebot.
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