Crossover bei Carus
Fünf Empfehlungen von Klaus Brecht
Seit Jahren ist Klaus Brecht für den Carus-Verlag aktiv. Als Herausgeber der Reihe chorissimo! bringt er sein umfassendes Know-how für die Arbeit mit dem musikalischen Nachwuchs ein. Für Erwachsenenchöre hat er bei Carus u.a. das äußerst erfolgreiche Chorbuch Advents- und Weihnachtslieder herausgegeben. Darüber hinaus ist Klaus Brecht ein passionierter Chorleiter, Stimmbildner und Juror. Wir haben ihn um Tipps aus dem spannenden Programmbereich „Crossover“ gebeten, der einige Entdeckungen für Sie bereithält:
1. Martín Palmeri (*1965): Nisi Dominus. Psalm 127
Martín Palmeri reiht sich mit dieser Komposition ein in die Reihe berühmter Komponisten wie Monteverdi, Schütz, Händel u.a., die zu ihrer Zeit und mit ihrer Stilistik diesen Wallfahrtspsalm – „für das Lebensglück als eine Gabe Gottes“ – vertont haben. Palmeris Neukomposition besticht durch klangliche Gegensätze und durch meisterliche Instrumentierung.
Im ersten Satz wechseln sich melodische, idyllisch-lyrische Passagen mit wuchtiger Klangfülle ab. Gerade die tiefen Hammerschläge im Klavier sind aufwühlende Momente. Nach einem intimen zweiten Satz beginnt der dritte Satz mit einem virtuosen Fugenthema durch alle Stimmen hindurch, springt unvermittelt hinüber in südamerikanische Rhythmik und endet mit einer fulminanten Schlusswendung. Auffallend ist, dass sehr darauf geachtet wurde, dass die Melodien durch alle Stimmen hindurch wechseln, dass alle Stimmen gleichberechtigt sind und der Chor in allen Stimmen in bequemen Lagen geführt ist. Palmeri zu entdecken lohnt sich!
2. Bobbi Fischer (*1965): Missa latina
Bobby Fischers Komposition ist ein Crossover-Stück in doppeltem Sinn. Zum einen beginnt es mit einer Hommage an Bachs h-Moll-Messe: Mit drei Kyrie-Anrufen als Bitte und einem Fugato des Chores. Dazu ein schnelles Überwechseln in Klänge und Rhythmen unserer Zeit. Zum anderen ist es ein „go across“, ein Überqueren des Atlantiks, ein Sprung aus der alten in die neue Welt.
Die Idee, traditionelle Aspekte der europäischen Musik mit der Idiomatik südamerikanischer Musik zu verknüpfen, durchzieht das ganze Werk. In der neuen Welt begegnen uns Elemente des argentinischen Tangos, karibische Rhythmen, Latin Jazz und Bolero. Berührend und hinreißend komponiert ist das kammermusikalische Benedictus mit Solo-Sopran, Violine und Bandoneon. Gänsehaut-Qualität hat das Dona nobis pacem.
3. Wolfram Buchenberg (*1962): Missa ad majorem Dei gloriam
Buchenberg ist für mich einer der kompetentesten Chorkomponisten unserer Zeit. Die Messe (ohne Credo) ist in seinem umfangreichen Gesamtwerk einzigartig. Komponiert wurde sie im Jahr 2013 im Auftrag der Landesakademie Ochsenhausen für das Festival C.H.O.I.R..
Der Beginn des Kyrie erinnert im Ausdruck an den Choraltext „Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zur dir“. Ein in der Tiefe verharrender, pulsierender Bordun explodiert geradezu in dem Aufschrei „Herr, erbarme dich“. Das Gloria ist ein durch und durch weihnachtliches Stück. Es beschreibt die Szene, in der der Engel den Hirten erscheint. Der Chor imitiert ein Glockengeläute und die Bigband begleitet mit jazziger Tanzmusik. Das Sanctus als weiteres Beispiel verbreitet lateinamerikanisches Flair.
Buchenberg bedient sich in den vier Sätzen der Messe virtuos verschiedener Stilmittel: klassische Passagen, sinfonische Blasmusik, Anklänge an Minimalmusik, swingende Teile und mehr. Das alles wird sehr bewusst textbezogen eingesetzt. Alle Stimmgruppen, Chor, Saxofone, Trompeten, Posaunen Gitarre, Klavier und Percussion agieren gleichberechtigt.
Buchenberg zeigt sich in dieser Messe als Meister der Instrumentation und der Ausgewogenheit, von Wiederholung, Verwandlung und Überraschung. Ein Werk, das fordert und Lust macht auf mehr.
4. Christoph Schönherr (*1952): Magnificat
Christoph Schönherr komponierte das Magnificat im Jahr 2005. Die Besetzung mit einer Jazzsängerin, Chor, Flöte, Trompeten, Saxofon, Flügelhorn, Klavier und Schlagzeug/Percussion ist kompakt und reich zugleich. Eine breite Palette von Stilmitteln wie Swing und Samba, Pop, Jazz sowie funkige Abschnitte geben den Texten eine zeitgemäße Tiefe und Leuchtkraft. Faszinierend ist die musikalische Kommunikation von Solistin und Chor.
Wir hören – besser erleben – eine moderne, starke Maria, die weint, kämpft und jubelt. Sie ist eine Frau unserer Zeit, ihr Part ist (deshalb) in englischer Sprache. Der Chor übernimmt den überlieferten lateinischen Text, einer „toten(?)“ Sprache, die in den zentralen emotionalen Teilen – Fecit potentiam, Deposuit potentes oder Dispersit superbos – sehr lebendige Statements abgibt, auch zu dem, was wir heute gerade erleben. Das Stück endet positiv mit einem mitreißenden, getanzten „Amen“ als Schlusschor.
Das Magnificat ist weltweit an vielen Orten aufgeführt worden. Meine herzliche Einladung an alle Schul- und Laienchöre, es weiter zu verbreiten! Eine gute Ergänzung für das Konzertprogramm ist Schönherrs Missa in tempore incerto (Carus 27.076).
5. Oliver Gies (*1973) nach Mendelssohn Bartholdy: O Täler weit
Ein Crossover par excellence: Felix Mendelssohn im Original mit plötzlichem Übergang zu einer von Oliver Gies arrangierten Pop-Version. Für Jazzchöre eine gute Etüde, um sich die klassische Klangwelt zu erobern, für klassisch ausgerichtete Chöre eine Herausforderung, sich in die Rhythmik und den Sound unserer Zeit einzuarbeiten und im besten Falle die Coolness eines Grooves zu erleben und zu genießen.
„Und nun viel Spaß“ wünscht Oliver Gies in seinem informativen Vorwort zur Carus-Ausgabe. Dem kann ich mich nur anschließen!
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