Die treue Besiegte und der großmütige Eroberer
Johann Adolf Hasse: Cleofide
Johann Adolf Hasses Cleofide von 1731 ist seine erste Oper für Dresden. Sie erzählt von der Treue Cleofides und der unbeirrbaren Güte des Besatzers Alessandro. Hasse schreibt farbige Musik für das beste Orchester Europas und schneidet die Hauptrolle auf seine Frau, die berühmte Primadonna Faustina Bordoni, zu. Cleofide markiert den Beginn von Hasses Zeit als kurfürstlich-sächsischer und königlich-polnischer Hofkapellmeister, in der er Dresden zu einer der führenden Musikstädte des 18. Jahrhunderts machen wird.
Entstehung und Rezeption
Am Dresdener Hof gibt es Anfang des 18. Jahrhunderts zwei Musikkulturen. Der sächsische Kurfürst und polnische König August „der Starke“ bevorzugt französische Musik, während sein Sohn, Thronfolger Friedrich August, ein leidenschaftlicher Verehrer italienischer Musik ist. Die Zeit um 1731 markiert für Johann Adolf Hasse wie für den sächsischen Hof eine bedeutende Wegscheide: In Dresden ist das Pendel in Richtung italienische Oper ausgeschlagen, die Berufung Hasses zum Hofkapellmeister spielt dabei eine große Rolle. Dieser wiederum befindet sich in einem Strudel von Ereignissen, die an eine dramatische Opernhandlung erinnern: Im Karneval Venedigs 1730 wird er mit der umjubelten Aufführung seiner Oper Artaserse über Nacht berühmt. Im Mai kommt gleich der nächste Erfolg mit seiner Oper Dalisa. Zwischen beiden heiratet Hasse die berühmte Primadonna Faustina Bordoni. Außerdem wird er vom sächsisch-polnischen Hof als Opernkapellmeister engagiert. Merkwürdigerweise dauert es ein ganzes Jahr, bis der neue Kapellmeister tatsächlich seine Stelle antritt. Faustina erwartet zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht nur das erste gemeinsame Kind, sondern hat auch im Ehevertrag zu der stattlichen Mitgift, die sie einzubringen hat, eine Klausel verankern lassen, nach der ihr Mann ohne sie Italien nicht verlassen darf. Da sie selbst keinen Grund sieht, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, versucht sie eine Zeitlang, das Engagement ihres Mannes in Dresden zu hintertreiben. Im Juli 1731 kommen beide in die sächsische Hauptstadt, geben einige Konzerte zusammen, und Hasse vollendet in den nächsten drei Monaten seine neue Oper Cleofide. Am 13. September geht sie erstmalig über die Bühne, erlebt danach fünf weitere Aufführungen und wird begeistert gefeiert. Danach ist im 18. Jahrhundert nur noch eine Aufführung im Berliner Karneval 1777 nachweisbar (die anscheinend auf einen Wunsch von Friedrich II. zustande kommt). 1736 vertont Hasse Metastasios Originallibretto von Alessandro nell’Indie und übernimmt dafür einige Arien aus Cleofide.
Handlung und Libretto
Bei dem Libretto zu Cleofide handelt es sich um Michelangelo Boccardis Bearbeitung von Pietro Metastasios Alessandro nell’Indie. Die Handlung ist nahezu identisch, allerdings verschiebt sich der Fokus von Alexander dem Großen auf Cleofide, die Gemahlin seines Antagonisten Poro, König von Indien. Mit ihrer Aufwertung zur Titelfigur wächst automatisch die Bedeutung der Rolle, die Hasse selbstverständlich seiner Frau Faustina als Primadonna auf den Leib geschrieben hat.
Der makedonische König Alessandro (Alexander der Große) ist auf seinen Eroberungszügen in Indien angekommen. Dort besiegt er König Poro an den Ufern des Hydaspes. Cleofide ist die Frau von Poro, der sie mit Misstrauen und Eifersucht verfolgt. Erissena ist Poros Schwester und die Braut seines Vertrauten Gandarte. Neben Alessandro spielt dessen Vertrauter Timagene eine wichtige Rolle, der ebenfalls persönliche Interessen verfolgt.
Nach der Niederlage will Poro sich das Leben nehmen, Cleofide hält ihn jedoch davon ab und beschwört ihre gemeinsame Liebe. Von Timagene gefangengenommen, nennt er sich Hasbytes, einen Freund Poros, und beeindruckt Alessandro so sehr mit seiner mutigen Direktheit, dass der ihn freilässt. Der gefangengenommenen Erissena, in die sich Timagene sofort verliebt, schenkt Alessandro ebenfalls die Freiheit. Damit gewinnt er ungewollt ihr Herz, was Timagene verärgert und Umsturzpläne schmieden lässt. Gandarte, der sich eine Zeit lang als Poro ausgibt, um diesen zu retten, wird von der in Alessandro verliebten Erissena abgewiesen. Timagene verschwört sich mit Poro, doch der gemeinsame Plan, die Makedonier in einer zweiten Schlacht zu besiegen, scheitert. Dem eifersüchtigen Poro erscheint die mit Alessandro verhandelnde Cleofide als treulose Verräterin. Alessandro möchte sie vor dem Zorn ihres Volkes schützen und sieht die Lösung nur in einer schnell geschlossenen Ehe mit ihm. Da Gerüchte kursieren, dass Poro ertrunken sei, willigt Cleofide ein und beschließt insgeheim, sich danach umzubringen. Am Ende klären sich die Verwicklungen auf: Poro lebt, Alessandro führt ihn mit Cleofide zusammen und lässt ihnen ihr Reich. Dem abtrünnigen Timagene verzeiht er. Poro belohnt wiederum die Treue von Gandarte und verheiratet ihn mit seiner Schwester Erissena.
Musik
Hasse findet bei seiner Ankunft in Dresden schwierige Bedingungen vor. Die Sänger sind mittelmäßig, es gibt keinen Tenor in der italienischen Operntruppe, und gerade für die zwischen allen Stühlen stehende Rolle des Alessandro hätte einer gepasst! Stattdessen muss für vier Kastraten – ein Sopran und drei Altstimmen – komponiert werden. Cleofide hat mit sechs großen Arien an neuralgischen Punkten der Handlung die größte Präsenz, Poro und Alessandro singen fünf, Erissena und Gandarte vier, Timagene drei Arien.
J. A. Hasse
Cleofide
Oper in 3 Akten, 1731
Carus 50.704/00
Dr. Henning Bey arbeitet seit Oktober 2025 als Promotion Manager Bühne und Orchester beim Carus-Verlag. Vorher war er Künstlerischer Planer beim SWR Symphonieorchester, Chefdramaturg der Internationalen Bachakademie Stuttgart und Dramaturg beim Freiburger Barockorchester. Editionserfahrung sammelte er als Mitarbeiter der Neuen Mozart-Ausgabe in Salzburg.
Die Spielkultur der sächsischen Hofkapelle ist schon damals berühmt. Für die bekannten Virtuosen des Orchesters schreibt Hasse solistische Auftritte in einzelnen Arien, die geschickt über die teils mäßige Qualität der Sänger hinwegtäuschen. Timagenes Arie „È ver che a l’amo intorno“ (2. Akt, 11. Szene) flankieren zwei virtuos herumtollende Flöten, die von Johann Joachim Quantz und Pierre Gabriel Buffardin gespielt werden. Und in Alessandros Arie „Cervo al bosco“ (3. Akt, 6. Szene) stellt das Solohorn (Johann Adam Schindler) mit einem spektakulär hohen Auftritt fast den Sänger selbst in den Schatten. Obendrein wird die Arie zu einem Renommierstück für den Lautenisten Silvius Leopold Weiss, der, eigentlich Bestandteil der Basso-continuo-Gruppe, ebenfalls von Hasse einen solistischen Auftritt bekommt.
Insgesamt setzt sich die Oper aus einem seit Metastasio üblichen Wechsel zwischen Rezitativ und Arie zusammen. Dazu kommt am Ende des 1. und des 2. Aktes jeweils ein Duett zwischen Cleofide und ihrem Gatten Poro. Handelt es sich beim ersten noch um ein Gegeneinander-Singen – hier der rasend eifersüchtige Poro, dort die beschwichtigende Cleofide –, setzt das zweite gleich in Terzparallelen der Beiden ein. Der Konflikt ist noch nicht bereinigt, doch man nähert sich einander wieder an. Das Ende des 3. Aktes beschließen die beiden einzigen Chöre. Auch wenn sie fast aufeinander folgen, findet zwischen ihnen eine Entwicklung statt: der erste besingt einen zu entfachenden Scheiterhaufen und beschwört Hymenaios, den Hochzeitsgott, für die Hochzeit zwischen Alessandro und Cleofide (die nur scheinbar eingewilligt hat und sich ins Feuer stürzen will), während der zweite als Schlusschor das nun brennende Feuer als Sinnbild der Versöhnung und des guten Endes für alle feiert.
Ausgabe
Die Ausgabe des Carus-Verlags basiert auf dem Dresdner Aufführungsmaterial von 1731. Seine differenzierten Angaben zur Dynamik und zur Artikulation machen es möglich, die Aufführungsästhetik der damaligen Zeit zu rekonstruieren.





Im Zusammenhang mit der ersten Edition der Oper Cleofide (Johann Adolf Hasse, Werke, Band I/1, Stuttgart 2008) hat der Herausgeber Zenon Mojzysz umfangreiche Untersuchen in deren Umfeld vorgenommen. Mit Bezug auf zahlreiche Originalquellen werden im vorliegenden Band die Umstände erschlossen, die zu Hasses Dresdner Engagement und zur Aufführung der Cleofide geführt haben.
Mit diesem Frühwerk, das Hasse als Schüler Alessandro Scarlattis noch ganz unter dessen Einfluss komponierte, konnte Hasse als Komponist in Italien zum ersten Mal öffentlich auf sich aufmerksam machen. Das Libretto stammte von Francesco Ricciardi; die berühmten Sänger Vittoria Tesi und Carlo Broschi (Farinello) sangen die beiden Hauptrollen.

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