„Hochfürstl. Sächsisch-Weißenfelsischer würklicher Capellmeister“

Johann Sebastian Bach und Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels

Johann Sebastian Bachs weltliche Kantaten vermitteln einen spannenden Einblick in sein Agieren zwischen Stadt und Hof, zwischen beginnender Aufklärung und Absolutismus. Ein Agieren, das zu einem erfolgreichen Leben damals wohl dazu gehörte, uns aber heutzutage leicht eigentümlich, vielleicht sogar befremdlich scheint. Uwe Wolf ist den Umständen der Entstehung von Bachs wunderbarer Jagdkantate nachgegangen und hat sich auf Bachs Spuren in Weißenfels begeben. Wandeln Sie mit!

Es war eine folgenreiche und ungewöhnliche Entscheidung des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656, in der Musik u.a. bedeutend als Förderer und Arbeitgeber von Heinrich Schütz): In seinem Testament verfügte er für seine nachgeborenen Söhne die Einrichtung von Sekundogenitur-Fürstentümern (Fürstentümer für Zweit- bzw. Nachgeborene). Nach seinem Tod 1756 entstanden somit drei teilsouveräne Fürstentümer auf dem Gebiet Kursachsens: Sachsen-Weißenfels, Sachsen-Zeitz und Sachsen-Merseburg, die ihrerseits in direkter Linie weitervererbt werden konnten, aber nach dem Aussterben der direkten Linie an Kursachsen zurückfielen (dies war dann zwischen 1718 [Zeitz] und 1746 [Weißenfels] der Fall).

Dr. Uwe Wolf ist als Musikwissenschaftler vor allem im 17. und 18. Jahrhundert zuhause. Seit Oktober 2011 leitet er das Lektorat des Carus-Verlags. Zuvor war er über 20 Jahre in der Bach-Forschung tätig.

Kultur statt Außenpolitik

Die politisch unbedeutenden Sekundiogenitur-Fürstentümer suchten sich jeweils eigene Wege der absolutistischen Prachtentfaltung. Die Herzöge von Sachsen-Weißenfels nahmen den „Wettstreit der Residenzen“ vor allem auf kulturellem Gebiet auf. Es wurde versucht, dem Hof über seine kulturelle Aktivität einen Ruf zu verschaffen, der politisch versagt blieb. Der Bau des Schlosses Neu-Augustusburg gehört ebenso dazu, wie eine gut ausgestattete Hofkapelle und prachtvolle Hoffeste voller Musikdarbietungen.

Weißenfels an der Saale, ca. 1900
Schloss Neu-Augustusburg thront über der Stadt

Unter keinem der Herzöge von Sachsen-Weißenfels nahm die prunkvolle Hofhaltung jedoch solch exzessive Züge an, wie unter Herzog Christian (er regierte von 1712–1736). Dies führte zwar bereits wenige Jahre nach Christians Regierungsantritt zum finanziellen Zusammenbruch des Staates – eine kaiserliche Schuldentilgungskommission wurde eingesetzt –, aber erst nach Christians Tod auch zu einem Ende der höfischen Pracht.

Herzog Christian, Förderer der schönen Künste

So finanzpolitisch unklug Christians Überspannen des berühmten Bogens war, so ertragreich war seine Zeit auf kulturellem Gebiet. Kulminationspunkte für die landesherrliche Prachtentfaltung bildeten die Hoffeste, unter denen der Geburtstag des Herzogs am 23. Februar den ersten Rang einnahm. Die Feierlichkeiten zum Geburtstag Herzog Christians zogen sich stets über 2 Wochen bis zum 9.3. hin. Und Musik spielte dabei jeweils eine Hauptrolle. Aus dem Jahr 1732 z.B. wissen wir, dass allein im Gottesdienst 10 teils umfangreiche Kompositionen erklangen. Und es haben sich Textdrucke zu einer Tafelmusik und drei Serenaden erhalten (alles umfängliche Werke – nicht selten zählt eine Serenade 20 Sätze!) und auch die Aufführung einer Oper ist belegt. Hinter der Tafelmusik und den Serenaden verbergen sich jeweils Geschenke einzelner Persönlichkeiten oder von Personengruppen, es sind also – anders als der Gottesdienst – keine vom Herzog angeordnete Darbietungen.

Bachs Gönner Herzog Christian

Johann Christoph Gottscheds Bemühungen um die Gunst des Herzogs

In den Weißenfelser Hofakten hat sich ein schöner Briefwechsel erhalten, der Einblick in die Beweggründe für derartige Aktivitäten eröffnet. Der Leipziger Gelehrte Johann Christoph Gottsched (1700–1766), seit 1730 außerordentlicher Professor, strebte nach einer ordentlichen Professur an der Leipzig Uni. Da der Weißenfelser Herzog Christian turnusgemäß bei der nächsten Besetzung in Leipzig ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, versuchte Gottsched diesen für sich einzunehmen und wandte sich im Januar 1733 ratsuchend an den Weißenfelser fürstlichen Bibliothekar Heinrich Engelhard Poley.

Während Gottsched eher an ein Huldigungsgedicht auf Christian dachte, bemühte sich Poley, Gottsched davon zu überzeugen, dass vielmehr eine Tafelmusik oder Oper das Richtige sei und gibt dem Dichter noch den Rat mit auf den Weg, er möge das Wort „Wonne“ sowie die Reime „Sachsen“, „Wachsen“ und „Achsen“ vermeiden, da diese dem Herzog gar nicht gefallen. Nun, Gottsched blieb bei seinem ursprünglichen Plan und verfasste ein Lobgedicht zum Geburtstagsfest 1733 (freilich ohne die besagten Reime!). Für eine Oper wäre der zwischen Gottscheds Anfrage und dem nächsten Geburtstag verbliebende Monat sicher zu knapp geworden. Offenbar hat Gottsched den richtigen Ton getroffen, denn im Jahr darauf erhält er die ersehnte ordentliche Professur.

Gedenktafeln am Schloss Neu-Augustusburg

Bach vocal

Jagdkantate

Frohlockender Götterstreit nannte Johann Sebastian Bachs Textdichter Salomon Franck die Gratulationsmusik für den Hof von Sachsen-Weißenfels, die heute als Jagdkantate BWV 208 allgemein bekannt ist. Das Werk wurde in Anwesenheit des Komponisten vermutlich am 23. Februar 1713, dem 31. Geburtstag des Herzogs Christian, uraufgeführt.

Schweigt stille, plaudert nicht (Kaffeekantate)

Im Jahr 1729 übernahm Bach in Leipzig die Leitung des einst von Telemann gegründeten „Collegium musicum“ und konzertierte daraufhin mindestens einmal wöchentlich mit diesem Ensemble im Zimmermannschen Kaffeehaus bzw. im Sommer im dazugehörigen Kaffeegarten. Zu den Kompositionen, die er wohl für die Auftritte dort komponiert hat, gehört Bachs bekannte Kaffeekantate.

Falsche Welt, dir trau ich nicht

Die Sopran-Kantate Falsche Welt, dir trau ich nicht von Johann Sebastian Bach ist für den 23. Sonntag nach Trinitatis bestimmt, der im Jahr der ersten Aufführung auf den 24. November 1726 fiel.

Messe in h-Moll

Obwohl Bachs h-Moll-Messe zu den meistaufgeführten Werken des Thomaskantors gehört, steckt sie doch voller Rätsel und Probleme. Das betrifft nicht nur die bis heute gänzlich ungeklärte Frage, warum Bach dieses Werk komponierte, sondern setzt sich bis in die Details des Notentextes fort. Carus hat die Messe daher in einer Hybrid-Edition vorgelegt, die neben der leinengebundenen Partitur auch – taktweise miteinander verlinkt – sämtliche relevanten Quellen in hochauflösenden Scans auf DVD enthält.

Messe in h-Moll (CD)

Hans-Christoph Rademann widmete seine erste CD als Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart diesem herausragenden Werk der Musikgeschichte und setzte damit auf dem Gebiet der historisch informierten Aufführungspraxis und in künstlerischer Hinsicht Maßstäbe.

Man singet mit Freuden vom Sieg

Bei der Komposition der Kantate BWV 149 griff Bach auf Teile eines älteren Werkes zurück: Der Eingangschor ist eine Parodie der Jagdkantate BWV 208. Neben kleineren, textbedingten Änderungen verwendete Trompeten anstelle von Hörnern. Hierzu transponierte er den Satz von F- nach C-Dur.

Das geistliche Vokalwerk - Schuber mit Studienpartituren

Bach vocal Schuber

Carus hat Johann Sebastian Bachs geistliche Vokalmusik in einer hochwertigen Gesamtedition vorgelegt. Die drei Schuber umfassen sämtliche erhaltene Kantaten, Oratorien, Passionen, Motetten und Messen in modernen, an der historisch informierten Aufführungspraxis orientierten Urtext-Ausgaben.

Johann Sebastian Bach,  Hochfürstl. Sächsisch-Weißenfelsischen würklichen Capellmeistern

Auch Johann Sebastian Bach bemühte sich um die Gunst Christians – mit Erfolg: 1729 bekam Bach den Titel eines Hofkapellmeisters verliehen, den er auch reichlich benutzte. So lesen wir z.B. auf dem Titelblatt des ersten Teils der Klavierübung BWV 825–830, gedruckt 1731: „Clavir Ubung … von Johann Sebastian Bach[,]  Hochfürstl. Sächsisch-Weißenfelsischen würklichen Capellmeistern und Directori Chori Musici Lipsiensis“. Bach erhoffte sich von dem Hoftitel eine Stärkung seiner Position zwischen den verschiedenen, Bach nicht immer wohlgesonnenen Leipziger Institutionen.

Für den Hof Christians sind drei Kompositionen Bachs bekannt. Es begann mit der bekannten Jagdkantate BWV 208 wohl zum Fürstengeburtstag 1713. Aus Bachs Leipziger Zeit folgt die Schäferkantate „Entfliehet, verschwindet, entweichet, ihr Sorgen“ BWV 249a zum Fürstengeburtstag 1725 (die Vorlage des Oster-Oratoriums) und „O angenehme Melodei“ BWV 210a anlässlich eines Aufenthalts Christians in Leipzig 1729 (und weitere Werke stehen im Verdacht, für Weißenfels komponiert zu sein). Die vier bekannten Fassungen von BWV 210/210a sind ein echtes Musterbeispiel von Kantaten-Recycling. So lautet der Beginn der letzten Arie „Sei vergnügt, großer Herzog“ (Christian von Sachsen -Weißenfels), „Sei vergnügt, großer Flemming“ (Joachim Friedrich von Flemming, Gouverneur von Leipzig), „Seid vergnügt, werte Gönner“ (Adressaten unbekannt), „Seid vergüngt, edle beide“ (unbekanntes Hochzeitspaar).

Bachs Weißenfelser „Debüt“ 1713 erfolgte wahrscheinlich noch nicht ganz aus eigenem Antrieb; vielmehr scheint Bach von seinem Dienstherrn, dem Weimarer Herzog Ernst August dazu beauftragt (und entlohnt) worden zu sein. Den Text zu der großdimensionierten Tafelmusik schrieb der Weimarer Hofpoet Salomon Franck (1659–1725), von dem Bach später etliche weitere Texte vertonen sollte. Bach reiste mit einigen Weimarer Hofmusikern persönlich nach Weißenfels um die Aufführung im Jagdschloss, dem heutigen „Ringhotel Jägerhof“, zu leiten. Die Jagdkantate ist, soweit wir wissen, Bachs erste Komposition größeren Zuschnitts und auch seine älteste erhaltene weltliche Kantate.

Wie auch einige andere weltliche Kantaten Bachs (BWV 204, 210, 211) beginnt die Jagdkantate direkt mit einem Secco-Rezitativ. Das ist nicht nur ein etwas ungewöhnlicher Einstieg, er ist für eine Tafelmusik auch ziemlich ungeeignet, weil so ein Beginn im allgemeinen Geräuschpegel untergehen würde. Sicher ging der Kantate ein Instrumentalstück voraus, das die Aufmerksamkeit der Hörer auf die Musik lenken und zugleich in die Stimmung des Geschehens einführen sollte.

Jagdschloss, heutige „Ringhotel Jägerhof“

Als ein passendes Stück kommt der 1. Satz des 1. Brandenburgischen Konzerts in Frage. Es gibt zu dem Konzert eine nicht näher zu datierende Frühfassung, deren Entstehung schon lange hypothetisch mit der Jagdkantate in Verbindung gebracht wird; Besetzung und Tonart der beiden Werke passen jedenfalls nahezu perfekt zusammen. Und interessanter Weise verwendete Bach diesen ersten Satz auch in der Leipziger Kantate „Falsche Welt, dir trau ich nicht“ BWV 52 als Eingangssinfonia, und auch hier abgeleitet aus der frühen Fassung des Konzerts! Damit ist natürlich keinesfalls sicher, dass jener Satz tatsächlich Bachs Jagdkantate 1713 vorausging, aber es ist ein passender Satz mutmaßlich aus der passenden Zeit. In der neuen Carus-Ausgabe der Jagdkantate ist dieser Satz daher als Vorschlag für eine Einleitungssinfonia enthalten.

Kantaten-Recycling

Wie viele der weltlichen Gelegenheitskantaten Bachs hat auch die Jagdkantate ein Leben nach 1713: Als Glückwunschkantate wurde sie nahezu unverändert wohl 1716 am Weimarer Hof wiederholt; aus „Chri-sti-an“ wurde „Ernst Au-gust“, das war‘s. Und textlich ist noch eine weitere, deutlich abweichendere Fassung der Kantate erhalten (BWV 208a), die viele Jahre später 1742 zum Namenstag des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August III. erklang.

Gedenktafeln am Jägerhof

Es war jener August III., der 1733 als Friedrich August II. auf August den Starken als sächsischer Kurfürst nachfolgte und 1734 dann als August III. auch polnischer König wurde und für den Bach Kyrie und Gloria der h-Moll-Messe geschrieben hatte; wiederum in der Hoffnung auf einen Hoftitel („Praedicat von Dero Hoff-Capelle“ heißt es im Widmungsschreiben zur Missa), der ihm schließlich auf nochmaliges Bitten 1736 auch gewährt wurde.

Und natürlich übernahm Bach Sätze dieses ebenso frühen wie gelungenen Werks auch in seinen geistlichen Kantaten: Zwei Sätze begegnen uns in der Kantate „Also hat Gott die Welt geliebt“ BWV 68 zum 2. Pfingsttag 1725, ein weiterer hat Eingang gefunden in die Michaelis-Kantate „Man singt mit Freuden vom Sieg“ BWV 149 aus dem Jahr 1728 oder 29. Und man darf mutmaßen, dass auch die weiteren verwertbaren Sätze (also Arien und Chöre) eine Wiederverwendung gefunden haben werden in nicht überlieferten Kantaten Bachs.

Bachs weltliche Kantaten vermitteln einen kleinen Einblick in die Ränkespiele und in Bachs Agieren zwischen Stadt und Hof; ein Agieren, das zu einem erfolgreichen Leben im Absolutismus wohl dazu gehörte, für Bach nicht weniger als für Gottsched.

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