300 Jahre J. S. Bach in Leipzig
Konzertprogrammvorschlag zum Dienstantritt Bachs in Leipzig 1723
Woher hatte Johann Sebastian Bach nur diese Schaffenskraft? Man muss sich das mal praktisch vorstellen, wie er nach seinem Dienstantritt in Leipzig ab Ende Mai 1723 jede Woche eine Kantate schrieb, also etwa 20 bis 30 Minuten Musik in unterschiedlichen, oft großen Besetzungen – eine sowohl vom kreativen als auch vom handwerklichen Aspekt her kaum zu ermessende Leistung.
Bei unserem Zyklus Bach:vokal 2011–2021 in der Stiftskirche Stuttgart habe ich in den Konzerten jeweils drei oder vier Kantaten aufgeführt, die sich auf einen bestimmten Sonntag oder eine begrenzte Periode im Kirchenjahr beziehen. Bei Kantaten zum identischen Sonntag lag dem Libretto anders als heute derselbe Predigttext zugrunde – das ermöglicht interessante Vergleiche sowohl im Hinblick auf die Texte als auch auf Bachs Vertonung. Wie wäre es z.B. mit einem Programm zum Dienstantritt Bachs mit drei Kantaten zum 1. Sonntag nach Trinitatis, nämlich BWV 75 „Die Elenden sollen essen“ (1723), BWV 20 „O Ewigkeit, du Donnerwort“ (1724) und BWV 39 „Brich dem Hungrigen dein Brot“ (1726)? Oder auch zum 21. Sonntag nach Trinitatis mit den Kantaten BWV 109 „Ich glaube, lieber Herr, hilf deinem Unglauben“ (1723), BWV 38 „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (1724) und BWV 98 „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ (1726)?
Oft spielen bei einer Programmzusammenstellung praktische Aspekte eine Rolle: Entweder liegt die Tenor-Arie extrem hoch, die vier geforderten Oboen kriegt man kaum zusammen, oder der Cellist besitzt kein Violoncello piccolo. Aus meiner Erfahrung mit der Aufführung sämtlicher Kantaten Bachs kann ich nur berichten, dass ich bei jedem seiner Werke das Gefühl hatte, mindestens einen besonders eindrücklich komponierten Satz kennengelernt zu haben. Der Gewinn durch diese Entdeckung hat für mich nach einer Weile jede Erinnerung an die Mühen bei der Besetzung oder bei der Erarbeitung mit dem Ensemble überstrahlt.
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